Eine Liebesehe
lang war er sogar in Alaska gewesen.
»Ich hatte es wahrhaftig recht schön auf diese Weise«, hatte er erklärt.
»Und hast die ganze Schule versäumt!« hatte sie vorwurfsvoll gerufen.
Er hatte sie mit seinen rotbraunen Augen mutwillig angesehen. »Immerhin hab' ich eine Menge gelernt«, hatte er entgegnet und sich geweigert, ihr Näheres zu sagen.
Nun, jedenfalls war er nie ins Gefängnis gekommen, das hatte er ihr versichert. Und jetzt war er Soldat. Das Soldatenleben dürfte wohl für einen Jungen wie Hal das beste sein. Da gab es zu tun, und den jungen Leuten wurde gesagt, was sie machen mußten, um nicht von schlechten Weibern angesteckt zu werden. Zwecklos, William zu bitten, mit dem Jungen zu sprechen, obwohl sie sich deswegen an ihn gewandt hatte. William hatte nur geantwortet: »Er hat sich nie von mir beraten lassen – warum also in diesem Punkt?« So hatte sie den Jungen ziehen lassen und ihn nur ermahnt, brav zu sein. In der Armee würde man ihn ohnehin aufklären.
Da fiel ihr auf einmal ein, daß ihre nächste Pflicht auf dem Hof darin bestand, drei von ihren Ayrshire-Kühen decken zu lassen. Henry Fasthauser hatte ihr gesagt, daß er sich in diesen Tagen einen neuen Ayrshire-Stier zulegen würde, und wenn sie wolle, könne sie die Kühe hinüberbringen, und er würde ihr behilflich sein. Auf diese Weise sparte sie die Kosten für die Miete eines Stiers. Hätte sie eine männliche Hilfe auf der Farm, so hätte sie sich einen eigenen Stier gehalten. Aber sie begnügte sich mit Aushilfskräften und mit dem Beistand der Mädchen. Sie griffen tüchtig zu, vor allem Jill, obwohl sie noch in die Schule gingen. Sie fragte sich manchmal, ob William wohl eine Ahnung hatte, wieviel Arbeit zu bewältigen war, auch wenn sie einen Teil des Landes verpachtete.
Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Er pfiff leise eine Melodie, die sie ihn schon einmal hatte pfeifen hören, ohne sich an die Umstände erinnern zu können. Er wurde immer schöner, dachte sie, je älter er wurde. Hal hatte sein gutes Aussehen von William geerbt.
»Was ist das für eine Melodie?« fragte Jill und nahm seinen Arm.
»Genieße des Lebens, es schwindet so bald«, erklärte er.
»Aber woraus ist das?« beharrte sie.
»Aus ›Samson und Dalila‹«, sagte er.
»Aus der Bibel?«
»Das gleiche Paar, aber nicht aus der Bibel – ich muß dich demnächst einmal in die Oper mitnehmen.«
»Oh, wirst du das wirklich tun?« Jill drückte seinen Arm.
»Vielleicht.«
Wie würde sich die Rückkehr nach New York gestalten? Zweifellos ähnlich wie Rip van Winkles Erlebnis, jenes alten Rip, der bald darauf gestorben war, nachdem er gesehen hatte, wie die Welt ohne ihn fortgeschritten war. Vermutlich hatte er bedauert, daß er überhaupt aufgewacht war.
Eine Kuh brüllte plötzlich in den Abend hinaus.
»Warum brüllt die verdammte Kuh?« fragte William. Er konnte Kühe nicht ausstehen.
»Ich will mich morgen um sie kümmern«, antwortete Ruth.
Beide Mädchen wußten sicherlich, wonach es die Kuh verlangte, aber um nichts in der Welt hätte Ruth es vor ihnen William erklären können. Eigentlich vermochte sie es ihm überhaupt nicht zu sagen. Er liebte es nicht, brünstige Tiere zu sehen. Sie fand das seltsam in Anbetracht der Tatsache, daß es doch nur etwas ganz Natürliches war. Aber daran ließ sich nichts ändern. Einmal waren sie beide bei einem Spaziergang durch den Obstgarten auf die Hunde gestoßen, und voller Abscheu war William davongelaufen. Gerade vorher hatte er sie umarmt, und dann schien ihn das plötzlich auch abzustoßen.
Es mußte nun einmal alles so vor sich gehen, wie er es wünschte.
Darüber sann sie nach, während sie das Abendessen zubereitete. Für ihn mußte alles einen zarten Anstrich haben. Manchmal wäre sie am Abend gerne herzlich und geradeaus gewesen und nachher gleich eingeschlafen. Aber sie hatte gelernt, daß dies für ihn unmöglich war. Das Licht mußte auf eine bestimmte Weise brennen, nicht zu schwach, nicht zu hell, und sie mußte ihm viel Zeit lassen und durfte keine Müdigkeit zeigen.
Die Kuh brüllte abermals durch die stille Dämmerung.
Ruth wandte sich an Jill: »Hol die Kuh und bind sie im Obstgarten an einem Baum fest, möglichst weit weg. Mit ihrem Gebrüll geht sie Vater auf die Nerven.«
Und Jill lief folgsam hinaus.
William hatte mit ungewöhnlichem Eifer wieder zu arbeiten angefangen. Nachdem Hal nicht mehr da war, schien das Haus erleichtert und befreit zu sein.
Nach dem
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