Eine Liebesehe
»Hal muß nun gehen«, sagte er. »Es wird Zeit für uns alle, wenn wir die Parade sehen wollen.«
Vorher hatte er sich über die Parade lustig gemacht und keineswegs die Absicht gehegt, sie sich anzusehen. Doch jetzt war er entschlossen, hinzugehen. Er wollte bei Ruth sein, bis Hal fort war.
»Kommst du denn auch, Papa?« fragte Hal.
»Doch, ja«, gab William zurück.
»Fein!« rief Hal.
William antwortete darauf nicht, sondern ertrug schweigend ein Gefühl der Selbstverachtung. »Du siehst sehr gut aus, Hal«, bemerkte er schließlich.
»Nicht allzu schlecht, würde ich meinen«, versetzte Hal.
So gingen sie zur Parade, und mit starkem, wenn auch verheimlichtem Zynismus sah William die kleine Abteilung, der die Stadtmusik voranschritt, durch die einzige Straße des Dorfes ziehen. Ruth weinte. Er legte den Arm um sie, während er dastand und seine Pfeife rauchte, und er merkte, daß Mary die Tränen zurückhielt. Jills Gesicht war unbeweglich. Er vermochte ihre Gedanken nicht zu ergründen. Sie sahen die drei Soldaten mit der Eisenbahn davonfahren, und dann begaben sie sich still nach Hause. Ruth brach das Schweigen.
»Hal war noch schöner als die andern, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt«, antwortete William.
Sie kamen zu dem Rasen, an dessen Ende sich das schwere und fest gebaute Haus erhob. Immer noch betrat er es manchmal, wie auch jetzt, mit geheimem Schrecken. Wie seltsam war es doch, daß er vor vielen Jahren durch reinen Zufall hierher geraten, weil es ihn nach einer einzigen Mahlzeit gelüstet hatte, und dann geblieben war, um für den Rest seines Lebens gefüttert zu werden! Von einem Zufall hatte er sein Leben bestimmen lassen, und infolge des Zufalls eines Augenblicks hatte er Ruths Leben geformt und die drei Leben der Kinder geschaffen, die nun ihrerseits die kleinen kräuselnden Wellen dieses Zufalls weitertragen würden. Wenn also der Zufall der wahre Anfang all dieser Menschenleben war, wer sollte dann jemals nach dem Sinn ihres Daseins fragen?
»Woran denkst du, Vater?«
Jills frische Stimme, das einzig Schöne an ihr, rief ihn zurück. Er sah sie an und schaute wieder fort. Sie stellte in diesem Augenblick, so jung und verschieden sie auch war, so ganz das Ebenbild von Ruths totem Vater dar, daß es geradezu gespenstisch wirkte. Die Jungen sollten nicht das Aussehen und Gehaben der Alten haben. Sie sollten völlig neu geboren werden. Was war das wieder anderes als Zufall? Hätte er Elise geheiratet, dann wäre einfach nur die Wahl zwischen Elises Vater und dem alten Barton gewesen.
»William!« Ruths Stimme kam wie aus weiter Ferne. »Hast du Jill nicht gehört?«
William lächelte leicht. »Ich überlegte, ob eine römische Nase besser als eine Kartoffelnase wäre«, sagte er.
Verdutzt blickten sie einander an.
»Vater, so etwas Dummes hast du bestimmt nicht gedacht!« rief Jill.
»Doch«, beharrte William. »Und wenn ihr es nicht glaubt, dann wißt ihr eben nicht, wie dumm ich bin.«
Die Mädchen lachten, aber Ruth blieb ernst. Ihre Gedanken glitten fort wie stets, wenn William so sprach. Sie duldete diese Reden, obwohl sie sie töricht fand, weil sie verrieten, daß er sich glücklich fühlte, und wenn er glücklich war, mußte sie sich seinetwegen keine Sorgen machen. Dann konnte sie sich mit den hunderterlei Dingen befassen, die im Hause getan werden mußten. Sie seufzte, als sie, wie so häufig, daran dachte, daß sie in Anbetracht von Hals Wesen gut noch einen Sohn hätte brauchen können. Sie wünschte oft, sie hätte noch ein viertes Kind bekommen. Aber William war in bezug auf Kinder recht sonderbar. Er begriff nie, daß eine Frau ihre Kinder so ungemein lieben mußte, und sie konnte sich doch nicht dauernd in zwei klar geschiedene Teile spalten. Sie tat es wirklich, doch was Zeit und Denken anbelangte, mußte sie den Kindern mehr geben. Nur wenn sie sich um William ernstlich Sorgen machte, vergaß sie seinetwegen die Kinder gänzlich. Sie bangte immer noch um ihn, obwohl er nie mehr davon gesprochen hatte, weggehen zu wollen. Das hatte sie Hals Durchbrennen zu verdanken. Sie seufzte abermals, als sie an all die Jahre dachte, in denen Hal fort gewesen war. Was hatte er erlebt und getrieben? Sie hatte versucht, ihm die Erlebnisse dieser Jahre zu entlocken, aber anscheinend hatten sie keinen Eindruck bei ihm hinterlassen. Er war umhergezogen, hatte überall den ganzen Weg längs der Küste und zurück leicht Arbeit gefunden und sich nirgends lange aufgehalten. Ein Jahr
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