Eine Liebesehe
hob die Augen. Dieser langsame Aufschlag der dunklen, dichten Wimpern peitschte sein Herz auf. Diese Vereinigung von Fleisch mit Fleisch, wie unendlich viel reicher war sie jetzt denn je! Einst war schierer Hunger zu befriedigen, zuerst der Hunger des Leibes, der Hunger des Blutes. Dann war es der Hunger nach Kindern gewesen. Jetzt aber war es mehr als einfacher Hunger. Das Fleisch war längst befriedigt, und es sollten keine Kinder mehr kommen. Dies – galt der Gemeinschaft; Leib zu Leib, Herz zu Herz, Geist zu Geist, Sinnbild und Zeichen zweier in eins verschmolzener Menschenwesen.
Die Dunkelheit war lange schon hereingebrochen, als er sich endlich erhob, den Holzriegel an der Türe zurückschob und hinausging. Das Haus lag in Dunkel gehüllt. Die Mädchen waren zu Bett gegangen. Nein, unter Jills Türe am Ende des Flurs sah er ein dünnes Lichtband. Aber er ging nicht zu ihr. Er wollte mit niemandem sprechen.
Er begab sich in die Küche hinunter, wo er eine Lampe anzündete. Er suchte sich Wein, Brot, Käse und Apfelmus zusammen und aß. Dann stand er auf, gähnte und streckte sich. Er löschte die Lampe, trat zu der offenen Küchentür und blickte in die milde, schwarze Nacht hinaus. Die Sommernächte waren immer mild. Der Fluß machte die Luft feucht und weich, so daß man gut schlafen konnte. Die Luft blieb unbewegt. Unmöglich, zu glauben, daß irgendwo auf Erden der Wahnsinn von Kampf, Lärm und Tod tobte! Nichts davon war Leben. Das Leben war hier, in diesem Hause, zwischen ihm und Ruth.
Er ging leise hinauf, und leise stahl er sich ins Schlafzimmer.
»Schläfst du?« fragte er.
»Nein«, antwortete sie. »Ich habe auf dich gewartet.«
Als Ruth völlig genesen war und wieder hinaus durfte, sah sie auf den ersten Blick, was William während eines Monats nicht gesehen hatte. Mary und Joel liebten einander. Sie war durchaus zufrieden, als sie das erkannte. Sie hatte Joel, der durch und durch der Sohn seines Vaters war, gern. Die untüchtige Mutter war bei seiner Erschaffung nichts als ein Werkzeug gewesen, eine Wiege für seinen Körper. Sie hatte ihn geboren, er war frei von ihr und hatte nichts mehr mit ihr zu tun. Er war ein kräftiger Bursche mit einem offenen Gesicht, das nichts von der Dummheit seiner Mutter zeigte, und er verstand sich auf Ackerbau und Viehzucht.
»Mein Junge, der erzielt immer eine gute Ernte«, brüstete sich Henry. »Ihm schlägt nie etwas fehl, was er auch anpackt.«
Als Ruth wieder dazu imstande war, ging sie durch Garten und Ställe und über die Felder und prüfte alles genau. Und um alles stand es noch besser als früher. Die Kühe waren sauber und friedlich, die trächtigen gesund, zwei weitere gedeckt. Nur zwei wurden immer noch gemolken. Drei Säue hatten geworfen, und bloß zwei Ferkel waren eingegangen. Kleinigkeiten, für die Ruth nie Zeit gefunden, waren erledigt worden, die Hühnerställe gesäubert, die Holzschuppen gefüllt, die Wassertröge gescheuert, die beiden Pferde frisch beschlagen.
Als Joel abends zum Melken herüberkam, ging sie zu ihm hinaus.
»Du hast alles wundervoll gemacht, Joel«, sagte sie. »Das werde ich dir nie vergessen, und auch dein Vater soll es von mir erfahren.«
»Schon gut«, erwiderte Joel. Er bohrte der Kuh den Kopf in die Flanke, während er melkte. »Ich tat ja nur, was ich konnte.«
»Du kannst eben allerhand«, sagte sie.
In diesem Augenblick brachte Mary die Eimer, und Ruth sah, wie Joel bei ihrem Eintritt schnell den Kopf hob und sie anschaute. Da wußte Ruth, daß er Mary liebte. Ja, aber wie stand es um Mary?
Ihre Tochter näherte sich ihr schüchtern.
»Mutter, darfst du so lange draußen sein?«
»Ich halte es nicht aus, einfach stillzusitzen.«
Mary lachte Joel an. »Mit Mutter wird man nicht leicht fertig!«
»Bist du nicht genauso?« lachte er zurück.
Das Lachen, die raschen, flüchtigen Blicke der jungen Augen sagten Ruth Bescheid. ›Sie liebt ihn, glaube ich, auch‹, dachte sie.
»Also, ich gehe hinein«, erklärte sie unvermittelt.
Das war eine ungeheure Entdeckung. Ob William es wohl wünschen würde? Ja, er mußte es wünschen, denn es war richtig. Mary und Joel, diese Verbindung war recht. Sie selbst hatte Joels Vater nicht heiraten können, weil William eines Tages gekommen war, aber für Mary gab es keinen zweiten William. Merkwürdig, wie sehr ihr Mary ähnelte! Aber die Ähnlichkeit beschränkte sich auf das Äußere. Mary hätte niemals irgendwo einen William wahrgenommen.
»Leg dich ein
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