Eine Liebesehe
Krieg. Wenn Hal fiele, dann wäre für sie der Krieg verloren gewesen.
Auch Joel mußte jetzt einrücken. Alle jungen Männer wurden eingezogen. Erst sollte noch die Hochzeit stattfinden, damit er und Mary eine Woche zusammenleben konnten.
»Wir wollen hierbleiben«, sagte Mary. »Wir wollen keine Hochzeitsreise machen. Ich will nur zu ihm übersiedeln, weiter nichts. Ich bleibe dann bei seiner Familie, wenn er fort ist.«
Wieder einmal fand in dem Bauernhaus eine Hochzeit statt, und William stand als Brautvater in dem Zimmer, in dem er vor so vielen Jahren als Bräutigam gestanden hatte. Zufällig trug Mary ein blaues Hochzeitskleid, und sie sah im Augenblick der einstigen Ruth geradezu erschreckend ähnlich.
Mit einem sonderbaren Unbehagen hatte er das Gefühl, als ob er dem untersetzten jungen Farmer im neuen schwarzen Anzug Ruth zur Frau gäbe. Aber er entledigte sich seiner Pflicht anmutig und mit leichtem Humor. Nach der Trauung war ihm zumute, als hätte es zwischen ihm und Mary eine klare Scheidung gegeben. Das Band zwischen Vater und Tochter, immer schon dünn und leicht zerreißbar, war durchschnitten, als er sie in der kleinen Gruppe der Gäste neben ihrem Gatten stehen sah. Sie dachte jetzt an niemand mehr außer an sich selbst und Joel. Sie würde nie mehr an einen andern Menschen denken.
Er nahm die Jungvermählte, die in all diesen Jahren seine Tochter gewesen, mit plötzlicher Klarheit wahr – ein enges, kleines Herz in dem Körper, bei dessen Erschaffung er geholfen, ein kleines Herz, das sich nur dem, was ihm gehörte, opfern konnte. Mary würde durch dick und dünn zu ihrem Manne stehen, weil er ihr gehörte; sie würde ihre Kinder lieben, nicht weil es Kinder waren, sondern weil es ihre Kinder waren. Die kleine Treue, die sie Vater und Mutter gegenüber gezeigt hatte, übertrug sie von nun an nur auf das, was ihr gehörte. Wortlos nahm sein Herz Abschied von ihr und ließ sie ziehen.
Es war nicht allzu leicht getan. Da handelte es sich um den Verlust eines Kindes, das hätte sein können, wenn sie es auch nie gewesen war. Schmerzlich sehnte er sich nach einem wirklichen Kinde seines eigenen Wesen, zu dem er aus stummen Verstehen heraus sprechen könnte.
Seine Einbildungskraft flog zu Jill. Sie brachte gerade Weingläser und Teller herein; ihr breiter, dünner Mund spannte sich fest durch die Inanspruchnahme ihrer Aufgabe. Aber er ging nicht zu ihr. Die Leute begannen allmählich zögernd mit ihm zu reden. Sie scheuten sich immer noch in seiner Gegenwart, diese Leute, unter denen er all die Jahre als ein Fremder gelebt hatte. Doch hatte er gelernt, wie er sich ihnen gegenüber verhalten mußte, wie zuhören, lächeln, einige ganz alltägliche Worte erwidern. Gescheitheit erschreckte sie, und so hatte er gelernt, keinen Witz zu zeigen.
»Nun, Herr Sieger, wie geht es Ihrem prächtigen Enkel?«
Er sprach mit dem Metzger, dessen rotes Gesicht sich zu einem Lächeln verzog.
»Großartig! Er läuft schon seit einem halben Jahr. Hoffentlich bekommen Sie als ersten auch so einen tüchtigen Jungen, Herr Barton!«
Ein Enkel! An Enkel hatte William gar nicht gedacht. Er und Ruth Großeltern! Aber natürlich war das unvermeidlich.
»Ja, ich hoffe auch, daß ich solches Glück haben werde. Herr Sieger.«
»Wüßte nicht, warum nicht«, schmunzelte Sieger. »Die beiden sind ein kräftiges, gesundes Paar, möchte man meinen.«
William lächelte. Sein Blick folgte den hellblauen Augen des Metzgers. Ja, Joel und Mary waren ein gesundes Paar. Bei dieser Verbindung entstanden sicher keine Verwicklungen. Doch was, wenn sein eigenes Blut, das in Mary gebändigt war, sich frei machte? Es war die mutwillige Art der Natur, hinter dem Rücken ihrer sich paarenden Menschenkinder zu lachen!
Inmitten der buntfarbigen, stark riechenden Landleute fühlte er sich auf einmal unerträglich einsam. Ruth befand sich am anderen Ende des Raumes, wo sie zusah, wie Mary den Hochzeitskuchen anschnitt. Er gewahrte ihr Antlitz, das gerötet und gesammelt war. Sie hatte den Hochzeitskuchen selber gebacken wie einst ihre Mutter vor langer Zeit. Das Rezept war das gleiche, aber ob das Ergebnis wohl ebenso gut war?
Unbemerkt schlüpfte William durch die Menge, bis er zur Treppe gelangte. Er stieg hinauf und ging zu dem Zimmer, wo er seine Bilder und Keilrahmen aufbewahrte. Hier stand auch ein Schreibtisch, an dem er sich niederließ und überlegte, zu wem auf der Welt er wohl sprechen könnte. Dann ergriff er plötzlich
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