Eine Liebesehe
William wandte sich an den Arzt.
»Ich möchte genau wissen, ob meine Frau in Gefahr ist.«
»Ihr Zustand wäre ernster, wenn der Stoß mehr nach rechts oder links gegangen wäre. Glücklicherweise sind nur Muskeln getroffen worden und weder das Rückgrat noch die Nieren. Aber sie braucht Pflege. Sie würde am besten ins Krankenhaus kommen, zumindest muß sie eine Schwester haben.«
»Sie wird zu Hause bleiben wollen – schicken Sie also eine Pflegerin – oder zwei, wenn es notwendig sein sollte. Ist sie in Lebensgefahr?«
»Keineswegs, wenn alles normal verläuft.«
»Dafür werde ich sorgen.«
Henry Fasthauser knurrte: »Bißchen spät, scheint mir.«
Williams Angst um Ruth bewirkte, daß er die Beherrschung verlor. »Zum Teufel, machen Sie, daß Sie hinauskommen!« rief er.
Henrys gelblichgraue Augen funkelten in seinem runden, roten Gesicht. »Ich? Nicht, bevor ich Ihnen die Meinung gesagt habe, Herr! Erstens einmal wäre das Ganze überhaupt nicht geschehen, wenn Sie hier die Männerarbeit getan hätten! Eine Frau sollte nicht all das tun müssen, was Ruth getan hat. Wäre sie meine Frau geworden – und das wäre sie geworden, und zwar längst, wenn Sie nicht mit Ihren feinen Kleidern, Ihrem Malzeug und Ihrem städtischen Getue dahergekommen wären, um sich von ihr durchfüttern zu lassen … Warum haben Sie sie nicht in Ihr eigenes großes Haus gebracht, warum haben Sie nicht für sie gesorgt und geschaut, daß sie ein gutes Leben hat?«
Williams Stimme schnitt kalt in diesen ungestümen Ausbruch ein. »Das hätte ich mit Freuden getan, aber sie wollte unbedingt hierbleiben. Möchten Sie sich jetzt gefälligst um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern?«
Der Arzt war damit beschäftigt, in seinem Medikamentenkoffer zu kramen. Seit dreißig Jahren lebte er in diesem Tale, und er wußte über jedermann genau Bescheid. Er war hier im Hause ein- und ausgegangen, wenn den Kindern etwas fehlte oder sonst eine Krankheit herrschte – nur leichte Fälle zwar, denn die Familie war gesund. Er hatte sich manchmal gefragt, ob William wohl glücklich wäre. Die Frau war es natürlich. Frauen sahen nicht aus wie Ruth, wenn sie unglücklich waren. Er hatte sie schon als Kind gekannt, als gesundes, hübsches Mädchen, das immer seinen Kopf durchsetzen wollte. Er konnte sich vorstellen, wie sie erklärte, daß sie hier leben wollte, und daß sie es dann auch tat.
»Also, ich gehe nun«, sagte er gelassen. »Ich werde eine Pflegerin schicken – eine genügt. Unsere Pflegerinnen sind an Arbeit gewöhnt. Geben Sie Ihrer Frau stündlich drei von diesen Pillen. Das wird ihr die Schmerzen lindern. Ich glaube zwar nicht, daß sie starke Schmerzen haben wird. Eine Wunde kann sehr tief gehen, und man spürt es kaum – sonderbare Sache! Geist und Körper hängen nicht so eng zusammen, wie manche Menschen glauben.«
Er bedachte jeden der beiden Männer mit dem gleichen Gruß und ging. ›Hoffentlich muß ich nicht wiederkommen und einen von ihnen zusammenflicken‹, überlegte er. Er sann über die beiden ein wenig nach, während der Geschwindigkeitsmesser seines alten Wagens um siebzig herum zitterte. ›Ich wußte schon immer, daß Henry diese Frau liebt‹, dachte er. ›Gott wird milde mit ihm sein müssen, weil er seines Nachbarn Weib begehrt. Er meinte, Ruth gehöre zu ihm. Bestimmt hätten die beiden besser zusammengepaßte.‹
Er hielt in einem Dorfe an, um nach einer Pflegerin zu telephonieren, und fuhr dann weiter zu einem kleinen, unangestrichenen Bauernhaus, wo er eine Frau von einem gesunden Jungen entband. Längst konnte er nicht mehr zählen, wie oft er Geburtshelfer gewesen war. An diesem Tage sagte er: »Wir werden sie wohl alle brauchen, wenn der Krieg weitergeht.«
William hatte indessen seine Selbstbeherrschung zurückgewonnen. Er verabscheute diesen massigen Bauern, und es widerte ihn an, daß der Mann auf seine plumpe Art wahrscheinlich immer noch in Ruth verliebt war. Aber er hegte keine Eifersucht. Er wußte, daß Ruth die Seine war. Wer konnte Henry Fasthauser ihm vorziehen? Die Hände des Mannes waren abscheulich, Fleischklumpen ohne jegliche menschliche Form, nicht dazu geeignet, den Leib einer Frau zu berühren. Er steckte seine eigenen sehr schönen Hände in die Taschen und hob stolz den Kopf.
»Herr Fasthauser, ich bezweifle, daß es einen Zweck hat, wenn wir uns noch länger unterhalten.«
»Ich tu' es nicht, weil ich einen Zweck verfolge, sondern um ihretwillen. Wer wird jetzt
Weitere Kostenlose Bücher