Eine Lüge macht noch keine Liebe! (German Edition)
Morgen, so beschloss sie, würde sie sich das einmal bei Tageslicht ansehen.
Als Lara am nächsten Vormittag auf der Piazza eintraf, war der Parkplatz voller Autos. Mehrere schwarze Jeeps mit den typischen roten Streifen und der weißen Schrift der Carabinieri standen da und es wimmelte von Fremden. Sie konnte von hier aus die Dammkuppe sehen und erkannte, dass Trauben von Menschen dort oben standen und aufs Wasser starrten. Beunruhigt betrat sie Angelas Bar, die auf der anderen, dem Kastell abgewandten Seite der Piazza lag.
„Was ist denn los?“ erkundigte sie sich.
„Die Leute sagen, dass es ein Jahrhundert – Hochwasser geben könnte. Sie haben die Carabinieri geschickt, um die Einsätze zu organisieren. Sie wollen auch hier Sandsäcke bereithalten, weil sie ein paar Stellen in den Flussufern nicht mehr trauen. Die Nutria – Ratten könnten sie unterhöhlt haben", erklärte ihr Angela mit besorgter Miene. „Es kann ein paar stressige Tage geben, bis das alles wieder vorüber ist, aber ich glaube nicht, dass es so schlimm werden wird.“
Sie trank hastig einen caffè und überquerte den Platz. Die kleine Straße, die auf den Damm hinaufführte, war vollgeparkt mit Autos, oben standen viele Einheimische, aber auch Fremde, die fassungslos und mit betretenen Gesichtern den Po beobachteten. Lara traute ihren Augen nicht. Der Fluss hatte sein Bett verlassen, von der mehrere Meter hohen Ufermauer mit ihrer kleinen Promenade im Rücken des Kastells war nur noch ein Fußbreit zu sehen. Braune, strudelnde Wassermassen rissen alles mit sich, was nicht niet- und nagelfest war, in der Flussmitte wirbelten unkenntliche Gegenstände um ihre eigenen Achsen in einem wahnwitzigen Tanz, dicke Baumstämme, ja sogar ganze Bäume kamen daher und schossen in atemberaubendem Tempo an ihnen vorbei. Die kleine Treppe, auf deren oberster Stufe sie so oft gesessen und das beschauliche Dahinfließen des Wassers betrachtet hatte, war vollkommen überspült. Die Bäume, die an seinem Ufer wuchsen, ragten nur noch mit ihren fast schon kahlen Kronen aus dem Wasser, die kleineren Büsche waren überhaupt nicht mehr zu sehen. Der schmale kleine, friedliche Fluss war zu einem wütenden, schäumenden Strom geworden.
Fasziniert und geschockt zugleich nahm Lara das Bild in sich auf. So war die Geschichte dieser Landschaft geschrieben worden, erinnerte sie sich, so hatte der Fluss über Jahrtausende hinweg sein Bett gestaltet und die Ebene geschaffen. Was sie da erlebte, war ein Sekundenbruchteil Erdgeschichte, der sich vor ihr auftat. Gewaltige Schäden und Leid, aber auch fruchtbaren Boden und Wachstum hatte der gewaltige Fluss den Menschen auf diese Weise gebracht und ihnen das Land geschenkt, auf dem sie jetzt lebten.
„Da kann man wirklich Angst bekommen“, riss eine Stimme neben ihr sie aus diesen Gedanken und sie wandte den Kopf. Sie kannte den Mann neben sich vom Sehen, es war einer der Stammgäste aus Angelas Bar. „Die piena kommt erst noch und sie sagen Sturm an!“
Schon jetzt fehlte nicht einmal mehr ein halber Meter bis zur Kuppe des Dammes. So nahe der Mündung bestimmten die Gezeiten zeitversetzt den Wasserstand des Flusses im Landesinneren mit. Lara hatte keine Ahnung, wie der Tidenstand um diese Tageszeit sein mochte, sie hoffte nur, dass nicht auch noch gerade Ebbe sein sollte. Hinter ihr hörte sie die Kirchenglocken läuten und ein Konvoi von Kleinlastwagen fuhr hupend ins Dorf ein. Als sie den Kopf nach links, stromaufwärts, wandte, erkannte sie zwei Beamte der Gemeindepolizei, die gerade die zum Nachbarort führende Dammstraße für den Verkehr sperrten.
Lara fühlte sich klein und hilflos und hastete mehr laufend als gehend nach Hause. Heftig schloss sie die Türe hinter sich. In diesem Moment läutete ihr Telefon. Mit fliegenden Fingern kramte sie es aus ihrer Handtasche.
„Ciao, hier ist Alessandro“, hörte sie seine Stimme. Am liebsten hätte sie laut gelacht vor Erleichterung und brachte nicht mehr als ein zittriges „Ciao“ heraus.
„Lara, wo … du?", sie hörte ihn nur undeutlich und verstand kaum, was er sagte.
„Ich bin zu Hause“, antwortete sie ihm laut, um gegen den Geräuschpegel anzukommen, der bei ihm im Hintergrund herrschte.
„Verdammt“, hörte sie ihn fluchen. Dann war seine Stimme klarer. „Ich wünschte, du wärst abgereist, es sieht momentan gar nicht gut aus.“
„Ich weiß, ich war gerade am Fluss. Wo bist du? Warum ist es bei dir so laut?“
„Ich bin am Hafen, wir
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