Eine Marcelli geht aufs Ganze
Sie gingen die Treppe in den ersten Stock hinauf.
»Genau.«
Am Ende des Flurs angekommen, betraten sie das Hauptlabor. Rechts vom Empfangstresen lagen die verschiedenen Untersuchungsräume, die Büros befanden sich auf der linken Seite.
Eine ältere Frau saß am Empfang. Sie lächelte, als sie Francesca erblickte.
»Du bist uns aus dem Weg gegangen«, sagte Marg Overton und grinste. »Ich würde ja zu gerne glauben, dass du die ganze Zeit über zu Hause sitzt und dir die Finger wund tippst, aber irgendwie habe ich da so meine Zweifel.«
»Stimmt, das Bild passt nicht einmal ansatzweise«, gab Francesca zu. »Marg, das ist Kelly. Kelly, Marg. Obwohl es einen Abteilungsleiter für diesen Bereich gibt, ist Marg diejenige, die hier wirklich das Sagen hat. Ohne sie wären wir verloren.«
»Natürlich wärt ihr das.« Marg nickte zustimmend.
Kelly lächelte schüchtern. »Hallo.«
»Was ist heute los? Irgendein interessantes Projekt?«
»Dan arbeitet mit mehreren Vierjährigen an seinem Assoziationsspiel.«
»Gut.« Francesca wandte sich an Kelly. »Da zuzusehen wird dir Spaß machen. Ich bring dich eben hin, bevor ich zu meinem Termin gehe.«
»Okay.«
Fünf Minuten später saß Kelly neben einem rothaarigen Doktoranden im Beobachtungsraum. Dan holte seine am Computer erstellten Grafiken hervor und fing an, sie Kelly zu erklären.
»Sie ist zwölf, Dan. Komm ihr bloß nicht mit Infinitesimalrechnung.« Francesca ging zur Tür. »Kelly, wenn er anfängt, dich zu Tode zu langweilen: Ich bin im ersten Büro auf der linken Seite.«
»Ich komm schon klar«, sagte Kelly.
Francesca lachte leise. Dan würde vermutlich in weniger als dreißig Sekunden in sein Fachkauderwelsch verfallen, aber er war ein guter Kerl, der Kinder wirklich gern hatte.
Sie ging zum ersten Büro auf der linken Seite und klopfte an die Tür.
»Francesca«, sagte ihre Doktormutter. »Hast du dich tatsächlich noch daran erinnert, wo ich zu finden bin.«
»Ja, ja, ich weiß.« Francesca trat ein und setzte sich auf den Besucherstuhl vor Emilys Schreibtisch. »Ich habe meine Gliederung fertig.«
»Du machst Witze.« Ihre Doktormutter, eine attraktive Frau Mitte vierzig, nahm die Seiten entgegen, die Francesca ihr hinhielt. »Ich habe dir so oft gesagt, dass du nicht deine ganze Zeit damit verbringen kannst, unschuldige Passanten zu belästigen, bin mir aber sicher, dass du mir nicht zugehört hast.«
»Ich höre immer zu, was du sagst.«
Emily lächelte. »Wenn das nur wahr wäre.« Sie nahm ihre Brille zur Hand und schob sich die dunklen Haare aus der Stirn. »Mal sehen, was wir hier haben.«
Einer der Vierjährigen nahm einen Kinderstuhl und warf ihn auf den ihm gegenübersitzenden Jungen. Kelly blieb der Mund offen stehen.
»Sollen die das machen?«, fragte sie und zeigte auf den zweiten Jungen, der prompt den ersten schlug. Beide brachen in Tränen aus.
Dan stieß einen unterdrückten Fluch aus und rannte aus dem Beobachtungsraum. Kelly war nicht böse drum, ihn gehen zu sehen. Einige seiner Theorien waren ganz interessant, aber seine Erklärungen waren viel zu technisch. Anfangs war sie etwas beleidigt gewesen, dass Francesca sie als ›erst zwölf‹ bezeichnet hatte, aber nach zehn Minuten mit Dan verstand sie, was sie damit gemeint hatte.
Sie stand auf und schlenderte aus dem Zimmer und den Flur entlang. Francesca hatte gesagt, dass sie ungefähr eine halbe Stunde brauchen würde, und die war beinahe um. Sie sah einen Stuhl vor dem Büro stehen, in dem Francesca war, und ließ sich darauffallen.
Sie und ihr Dad wollten an diesem Abend noch einmal Schach spielen. Am Vorabend hatte Kelly kaum verstanden, wie sich die verschiedenen Figuren bewegen durften. Sie wusste jetzt, dass ihr Dad sie hereingelegt hatte. Es würde noch Jahre dauern, bis sie gut genug war, um ihn zu schlagen und den DVD-Player zu gewinnen, aber das machte ihr nichts aus. Er wusste, worauf er sich einließ, als er ihr das Angebot gemacht hatte. Vielleicht hatte er doch vor, sie ein Weilchen bei sich zu behalten. Obwohl er in einigen Dingen echt nervtötend war, war er alles in allem gar nicht mal so schlecht. Er war ...
Kelly zuckte zusammen, als sie merkte, dass sie hören konnte, was in dem Büro gesprochen wurde. Sie lehnte den Kopf gegen die Milchglasscheibe, damit die Worte deutlicher zu hören waren. Als sie ihren eigenen Namen hörte, verspannte sie sich unwillkürlich.
»Kelly ist die Tochter eines Freundes von mir«, erklärte Francesca gerade.
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