Eine Marcelli geht aufs Ganze
»Sie ist eine begnadete Tänzerin und nimmt jeden Tag Unterricht. Wir verbringen diese Woche gemeinsam und haben viel Spaß zusammen.«
»Das klingt wie ein schöner Kurzurlaub.«
»Ja, genau. Es ist wirklich schön, mit Kelly zusammen zu sein. Sie ist ein tolles Kind.«
Obwohl Kelly sich nicht gern als »Kind" bezeichnen ließ, wurde ihr bei Francescas Worten ganz warm.
»Ich habe euch hereinkommen sehen«, sagte die andere Frau. »Sie hat tolle Haare.«
»Ich weiß. Sie hasst ihre Locken, aber ich finde sie wundervoll.«
Die andere Frau lachte. »Ich habe mal versucht, eine Dauerwelle machen zu lassen, die genauso aussieht. Achtzig Dollar und drei Stunden später sah ich aus wie ein schlecht frisierter Pudel. Es war wirklich entmutigend.«
Kelly unterdrückte ein Lächeln.
»Sie hat außerdem ganz bezaubernde Sommersprossen«, fuhr Francesca fort. »Ach, was gäbe ich drum, noch einmal so jung und hübsch zu sein ... Wenn ich ihr beim Tanzen zusehe, fühl ich mich wie 'ne alte Schachtel.«
»Liebes, im Vergleich bist du eine alte Schachtel.«
Francesca lachte. »Oh, danke vielmals.«
Kelly stand auf und ging schnell zum anderen Ende des Flurs. Ihr brannte das Gesicht, und ihr Magen fühlte sich ganz komisch an. Jedes Mal, wenn sie ihre Mutter über sie hatte sprechen hören – was nicht oft gewesen war, weil nur wenige ihrer Freunde überhaupt wussten, dass es Kelly gab –, hatte sie etwas Gemeines gesagt. Aber niemals etwas so Schönes wie Francesca.
Francesca fand sie hübsch. Francesca mochte sie. Wenn Francesca und Sam zusammenkämen, müsste Kelly sich vielleicht keine Sorgen mehr darüber machen, weggeschickt zu werden.
Sie dachte daran, wie ihre Mutter sie immer versteckt und ignoriert hatte. So etwas würde Francesca niemals tun. Sie würde ihr Kind nie im Stich lassen. Sie würde nie Geburtstage vergessen oder Sachen sagen, die Kellys Gefühle verletzten. Viele von Kellys Freunden hatten Stiefeltern, und einige davon waren ganz okay, während andere ganz fürchterlich waren. Was, wenn ihr Dad anfangen würde, sich mit einer anderen Frau zu treffen?
Das darf nicht passieren, beschloss sie. Francesca war genau der Mensch, den sie und ihr Vater in ihrem Leben brauchten. Irgendwie würde sie einen Weg finden, die beiden zusammenzubringen.
18. KAPITEL
A m Donnerstagmorgen richtete Sam seine Krawatte und ging dann zurück in den begehbaren Kleiderschrank, um Handy, Brieftasche und Jackett einzusammeln. Er hatte heute ein weiteres Treffen mit den brasilianischen Klienten, danach ein Arbeitsessen mit seiner Büromanagerin. Ein hiesiger Unternehmensverband wollte im folgenden Sommer ein kleines Filmfestival sponsern und hatte Sam gebeten, sich mit ihnen zu treffen, um die Sicherheitsvorkehrungen zu besprechen.
Er schaute auf die Uhr. Francesca würde Kelly heute zum Ballettunterricht bringen, damit er früh ins Büro fahren und sich auf den Tag vorbereiten konnte. Ohne sie würde er das alles überhaupt nicht schaffen. Sie war ...
Er griff nach seiner Brieftasche, doch sie rutschte ihm aus den Fingern und fiel zu Boden, wo sie aufgeklappt liegen blieb. Als er sich hinunterbeugte, um sie aufzuheben, fiel ihm ein silberner Streifen auf. Wut wallte in ihm auf.
»Verdammt noch mal«, fluchte er.
Er richtete sich auf und nahm die Platinkreditkarte genauer in Augenschein. Sie war da, wo sie sein sollte. Genau da, wo sie tags zuvor nicht gesteckt hatte, als er hatte tanken wollen.
»Kelly!«, brüllte er und trat auf den Flur hinaus.
Seine Tochter steckte den Kopf zur Tür hinaus. Sie war bereits für den Unterricht angezogen. Die Haare waren ein einziger Wust an Locken. In einer Hand hielt sie ein weißes Band.
»Hör auf zu brüllen«, sagte sie. »Ich bin ja hier. Was ist los?«
Sie ist so cool, dachte er und hätte am liebsten mit der Faust ein Loch in die Wand geschlagen.
»Du hast dir meine Kreditkarte genommen«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Wovon redest du da?«
Sie klang besorgt und überrascht, als wenn sie keine Ahnung hätte, was er meinte. Doch er kannte sie inzwischen lange genug, um die leichte Anspannung in ihren Schultern zu bemerken und den trotzigen Winkel, in dem sie ihr Kinn hielt.
»Gestern ist mir aufgefallen, dass meine Kreditkarte nicht im Portemonnaie steckte. Heute Morgen ist sie wieder genau da, wo sie hingehört.«
Sie verdrehte die Augen. »Ja, klar. Also gibst du mir die Schuld. Vielleicht hast du sie verlegt oder sie gestern einfach
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