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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Ihnen nicht sagen.»
    Hatte er das etwas stärker als
nötig betont? Lewis fand sich wieder mal nicht zurecht.
    Auf der Rückfahrt war Morse zunächst schweigsam.
Als er schließlich den Mund aufmachte, konnte sich Lewis nur wieder wundern.
    «An welchem Tag ist Lionel Lawson von der Schule
abgegangen?»
    Lewis sah in seinem Notizbuch nach. «Am 8.
November.»
    Morse nickte nachdenklich. «Sagen Sie mir
Bescheid, wenn wir an einer Telefonzelle vorbeikommen.»
     
     
    Als Morse zehn Minuten später wieder einstieg,
sah Lewis ihm an, daß er sehr mit sich zufrieden war.
    «Erfahre ich auch den neuesten Stand, Sir?»
    «Aber ja.» Morse warf seinem Sergeant einen
leicht überraschten Seitenblick zu. «Wir sind doch Partner, wir ziehen an einem
Strang. Sehen Sie, der junge Lionel Lawson war ein ehrgeiziger kleiner Streber.
Der hebe Gott hatte ihm nicht allzuviel Grips mitgegeben, aber das machte er
durch harte Arbeit wieder wett. Er will unbedingt nach Oxford. Warum auch
nicht? Es ist ein ehrenwertes Ziel. Der erste Versuch mißlingt. Der Junge läßt
nicht locker. Er bleibt noch ein Jahr an der Schule und paukt den
Prüfungsstoff. Im Herbsttrimester geht er noch mal an die Schule zurück, weil
dann die Aufnahmeprüfung fällig ist. Er macht sich zum Endspurt bereit.»
    «Und schafft es wieder nicht.»
    «Sehr richtig. Aber nicht deshalb, weil er die
Prüfung nicht bestanden hätte. Lawson, L., ist am 8. November von der Schule
abgegangen, sagen Sie. Dann will ich Ihnen mal was erzählen. In dem Jahr war
die Aufnahmeprüfung in der ersten Dezemberwoche, ich habe eben in Oxford
angerufen. Und Lawson, L., war nicht zur Prüfung gemeldet.»
    «Vielleicht hatte er seine Meinung geändert.»
    «Vielleicht nicht ganz freiwillig?»
    Lewis begann zu begreifen. «Sie meinen, er ist
relegiert worden?»
    «Ja, so denke ich mir das. Deshalb war der alte
Meyer so zugeknöpft. Er wußte mehr, als er uns sagen wollte.»
    «Aber beweisen können wir das nicht.»
    «Stimmt. Aber in unserem Beruf braucht man
außerdem noch eine Portion Phantasie, und die lassen wir jetzt mal ein bißchen
spielen. Warum fliegt ein Junge normalerweise von der Schule?»
    «Drogen?»
    «Gab es damals noch nicht.»
    «Tja, dann weiß ich nicht, Sir. Ich war ja nicht
auf einer Privatschule mit Griechisch und Latein. Wir haben die drei
Grundfertigkeiten gelernt, Lesen, Schreiben, Rechnen, und damit war Schluß.»
    «Uns interessieren drei andere Grundfertigkeiten
— Schikanieren, Schlagen, Schwuchteln. Lawson, L., war nach allem, was man so
hört, ein braver Knabe, und ich kann mir nicht vorstellen, daß sie ihn
rausgesetzt haben, weil er schikaniert oder geschlagen hat. Was meinen Sie?»
    Lewis schüttelte bekümmert den Kopf. Er kannte
das schon. «Sie können so was nicht einfach aus der Luft greifen, Sir, das ist
nicht fair.»
    Morse zuckte die Schultern. «Dann eben nicht.»
Der Tacho ging auf 140, als der Lancia über die Ortsumgehung von Northampton
brauste.
     
     
     

19
     
    Am gleichen Nachmittag gingen gegen halb fünf
zwei Männer, von der Carfax her kommend, langsam über die Queen Street. Dem
Älteren, etwas Größeren, dessen langgezogenes, ausdrucksloses Gesicht mit
grauen Stoppeln bedeckt war, schlotterte ein alter blauer Nadelstreifenanzug um
die hagere Gestalt. In der rechten Hand hatte er eine bauchige Flasche
Woodpecker-Apfelwein. Der Jüngere, bärtig und ungepflegt, der zwischen Mitte
Vierzig und Mitte Fünfzig sein mochte, trug einen langen, bis zum Hals
zugeknöpften Uniformmantel. Die Rangabzeichen waren längst abhanden gekommen.
    Am Bonn Square gingen sie über den Rasen, der
das steinerne Ehrenmal umgibt, und setzten sich auf eine der grün gestrichenen
Bänke unter den alten Bäumen. Neben der Bank stand ein Papierkorb aus Draht,
aus dem der Jüngere die Oxford Mail vom Vortag angelte. Der Ältere
schraubte gemächlich die Apfelweinflasche auf, nahm einen kurzen Schluck,
wischte mit dem Jackenärmel über den Flaschenhals und reichte sie seinem
Begleiter. «Steht was drin?»
    «Nee.»
    In der Fußgängerzone vor dem Park herrschte
lebhafter Betrieb. Passanten strömten durch die Arkaden zwischen dem hellgelben
Backsteinbau von Selfridges und dem stumpfgelben Gebäude der Stadtbücherei. Ein
paar flüchtige Blicke streiften die beiden auf der Parkbank — Blicke ohne
Interesse oder Mitgefühl. In den Büroblocks ging unvermittelt das Licht an. Der
Abend hatte begonnen.
    «Gib mal her, wenn du fertig bist.»
    Wortlos wurde

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