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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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macht er keinen Schmu.»
    Sie lächelte. «Nein, Inspector, er ist sehr
nett.»
    «Sie sind auch sehr nett», sagte Morse.
    Errötend wandte sie sich ab, und in Morse regte
sich heftiger Neid auf Mr. Clarke, während er den schlanken Beinen nachsah, die
über den Gang verschwanden. Am letzten Freitag im Monat, hatte sie gesagt.
Am28. Oktober also. Morris hatte zwei Tage vor der Gehaltszahlung die Schule
verlassen. Sehr merkwürdig.
    Morse klopfte und betrat den Musiksaal. Mrs.
Stewart stand sofort auf und machte Anstalten, den Plattenspieler
auszuschalten, aber Morse hinderte sie mit einer Handbewegung daran. Er nahm
sich einen Stuhl und setzte sich an die Wand. Die kleine Klasse hörte sich
Faures Requiem an. Entzückt schloß Morse die Augen und genoß die
ätherischen Klänge des «In Paradisum»:
    ... aetemam habeas requiem... und schenke
dir die ewige Ruhe... Nur zu bald verhallten die letzten Töne, und Morse
überlegte, daß vor nicht allzulanger Zeit einige Leute höchst unfreiwillig in
den Genuß dieser ewigen Ruhe gekommen waren. Im Augenblick waren es drei, aber
er hatte das dunkle Gefühl, daß es bald vier sein würden. Er stellte sich vor
und musterte die sieben Mädchen und dreijungen im Leistungskurs Musik. Er sei
mit Ermittlungen über Mr. Morris befaßt, sagte er, den sie ja alle gekannt
hätten. Es seien da gewisse geschäftliche Dinge zu klären, und die Polizei
wisse nicht genau, wo Mr. Morris abgeblieben sei. Vielleicht könne einer von
ihnen ihm weiterhelfen? Die Schüler schüttelten stumm den Kopf. Morse stellte
noch eine Reihe von Fragen, auf die sie ebenso stumm reagierten. Immerhin, zwei
oder drei Mädchen waren sehr ansehnlich, und die Kleine ganz hinten, die mit
den glutvollen Augen, war eine ausgesprochen flotte Puppe. Ob da nicht Morris
hin und wieder Appetit bekommen hatte?
    Morse wechselte unvermittelt die Taktik und nahm
einen bläßlichen, langhaarigen Knaben in der ersten Reihe aufs Korn. «Kannten
Sie Mr. Morris?»
    «Ich?» Der Knabe schluckte. «Ich habe zwei Jahre
Unterricht bei ihm gehabt, Sir.»
    «Wie haben Sie ihn genannt?»
    «Ja, ich... Mr. Morris...» Die anderen grienten,
als habe Morse nicht alle Tassen im Schrank.
    «Sie haben ihn nie anders genannt?»
    «Nein.»
    «Sie haben ihn nie mit angeredet?»
    «Doch, natürlich, aber—»
    «Sie scheinen den Ernst der Lage noch nicht
erfaßt zu haben, mein Junge. Ich wiederhole die Frage. Wie haben Sie ihn sonst
noch genannt?»
    «Ich weiß nicht recht, wie Sie das meinen...»
    «Hatte er keine Beinamen?»
    «Na ja, die meisten Lehrer—»
    «Wie lautete sein Spitzname?»
    Einer seiner Mitschüler sprang in die Bresche.
«Manche haben ihn genannt.»
    «Ja, das ist mir bekannt. Und warum wohl?»
    Jetzt meldete sich eins der Mädchen zu Wort, ein
ernsthaftes; Wesen mit einer breiten Lücke zwischen den Schneidezähnen und einem
merklichen Lispeln. «Er hat sich immer sehr nett angezogen, Sir.» Die anderen
Mädchen kicherten und flüsterten und stießen sich verständnisinnig an.
    «Möchte sonst noch jemand etwas dazu sagen?»
    Jetzt nahm der dritte Junge das leichte Thema
auf. «Er hatte immer einen Anzug an, und die meisten Lehrer... na ja, die
meisten haben Bärte, die Männer, meine ich (lautes Gewieher), und tragen Jeans
und Pullis und so. Aber Mr. Morris hat immer einen Anzug angehabt und hat... na
ja, immer richtig schnieke ausgesehen.»
    «Was für Anzüge waren denn das, die er angehabt
hat?»
    «Dunkle Anzüge», ließ sich derselbe Junge
vernehmen. «Wie für ’ne Party. Und da haben wir ihn eben
getauft.»
    Die Pausenklingel schrillte, und die Schüler
griffen nach ihren Büchern und Ringheftern.
    «Und seine Schlipse?» fragte Morse. Aber der
psychologisch] günstige Moment war vorbei. Die Farbe von Morris’ Schlipsen] war
offenbar dem kollektiven Gedächtnis entfallen.
    Während er über die Auffahrt zu seinem Wagen
ging, überlegte Morse, ob er noch mit dem einen oder anderen Lehrer ! sprechen
sollte, aber er hatte nicht genug in der Hand und be -1 schloß,
erst den Bericht des Pathologen abzuwarten.
    Er hatte gerade den Motor angelassen, als ein
junges Mädchen vor dem Fenster an der Fahrerseite erschien. «Tag, Süße»,] sagte
er. Es war die Kleine aus der hintersten Reihe, die mit den Radaraugen. Sie
lehnte sich vor. «Sie haben doch nach den Schlipsen gefragt. Mir ist einer
eingefallen, Sir. Den hat er oft getragen. Hellblau. Hat gut zu den Anzügen gepaßt.»
    Morse nickte

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