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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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alter Bauwerke spezialisierten Handwerksbetrieb
führten. Die beiden Jungen waren in der Schule gut zurechtgekommen, wobei
Philip offenbar die besseren Anlagen besaß, aber weit weniger Fleiß und Ehrgeiz
entwickelte. Nach dem Schulabschluß hatten sie beide achtzehn Monate Wehrdient
absolviert, und in der Army hatte der von jeher schwerblütigere Lionel einen
besonders überzeugend psalmodierenden geistlichen Herrn kennengelernt und die
Überzeugung gewonnen, er sei zum Seelenhirten berufen. Nach der Entlassung
hatte er ein Jahr fleißig zu Hause studiert und war dann in Cambridge zum
Theologiestudium angenommen worden. Philip hatte zunächst im Betrieb seines
Vaters gearbeitet, für diese Tätigkeit offenbar aber wenig Begeisterung
aufbringen können. Schließlich hatte er sich ganz von seinem Elternhaus gelöst
und kam nur noch gelegentlich zu Besuch. Doch er hatte kein eigentliches
Lebensziel und keinen Beruf, und es bestand wenig Aussicht, daß er das eine
oder das andere noch finden würde. Vor fünf Jahren waren Lawson senior und
seine Frau auf der Rückreise von einem Urlaub in Südjugoslawien bei dem
berühmt-berüchtigten Flugzeugunglück in Zagreb ums Leben gekommen, das
Familienunternehmen war verkauft worden, und jeder Sohn hatte etwa 50 000 Pfund
netto geerbt.
    Morse und Lewis hatten den Tag vorwiegend mit
getrennten Ermittlungen verbracht. Erst zu dem letzten Punkt auf ihrer Liste,
dem Gespräch mit dem früheren Direktor der Schule, auf die die Lawson-Söhne
gegangen waren, kamen sie wieder zusammen.
    Dr. Meyers Redeweise verriet den alten
Schulmeister, sie war gemessen und mit reichlich Latein durchsetzt, und seine
größte Angst schien zu sein, sich ungenau auszudrücken. «Ein gescheiter
Bursche, der Philip. Wäre er nur ein bißchen fleißiger und stetiger gewesen,
hätte etwas aus ihm werden können.»
    «Sie haben keine Ahnung, wo er jetzt steckt?»
    Der alte Herr schüttelte den Kopf. «Lionel war
da ganz anders. Er hat geschuftet wie ein Pferd, wenn ich das mal so
volkstümlich ausdrücken darf. Sein größter Wunsch war, ein Stipendium für
Oxford zu bekommen, aber...» Er unterbrach sich unvermittelt.
    Morse half vorsichtig nach. «Wie lange war
Lionel in der Oberstufe?»
    «Drei Jahre, wenn ich mich recht erinnere. Er
hat nach zwei Jahren die Reifeprüfung gemacht und auch bestanden. Kurz danach
hat er sich für die Oxford-Aufnahmeprüfung gemeldet, aber ich hatte wenig
Hoffnung für ihn. Seine geistige Ausrüstung war nicht... nicht ganz
Alpha-Potential. Ich wurde natürlich verständigt. Ein Stipendium könnten sie
ihm nicht geben, hieß es, aber seine Leistungen zeigten durchaus
vielversprechende Ansätze. Sie rieten ihm, noch ein Jahr anzuhängen und einen
zweiten Anlauf zu machen.»
    «War er sehr enttäuscht?»
    Der alte Herr warf Morse einen durchdringenden
Blick zu und brachte bedächtig seine Pfeife wieder in Gang. «Wie meinen Sie
das, Inspector?»
    Morse zuckte die Schultern, als messe er der
Sache weiter keine Bedeutung bei. «Sie haben vorhin gesagt, er sei sehr
ehrgeizig gewesen.»
    «Ja, das war er», sagte der alte Herr
nachdenklich.
    «Er blieb also noch ein Jahr auf der Schule.»
    «Ja.»
    Lewis rutschte etwas unbehaglich auf seinem
Stuhl herum. Wenn das so weiterging, waren sie frühestens um Mitternacht zu
Hause. Es war, als stünden Morse und Meyer am Billardtisch und spielten beide
auf Nummer Sicher. Morse machte den nächsten Stoß.
    «Und dann hat er die Reifeprüfung wiederholt?»
    Meyer nickte. «Die Ergebnisse waren nicht ganz
so gut wie im Jahr davor, wenn ich mich recht erinnere, aber das hat man
öfter.»
    «Sie meinen, er hatte mehr Lampenfieber wegen
der Oxfordprüfung?»
    «Ja, das war wohl der Grund.»
    «Aber er hat es wieder nicht geschafft?»
    «Ähem... nein.»
    Lewis merkte, daß Morse etwas beschäftigte.
Hatte er eine heiße Spur? Nein, wohl doch nicht. Morse war aufgestanden und zog
seinen Mantel an. «Sonst können Sie mir nichts über ihn sagen?»
    Meyer schüttelte den Kopf und machte Anstalten,
seine Besucher hinauszubringen. Er war klein und weit über achtzig, aber seine
Haltung forderte noch immer Respekt, ja Unterordnung. Lewis hatte gehört, daß
Meyer an seiner Schule ein strenges Regiment geführt hatte. Angeblich hatten
Schüler und Lehrer gleichermaßen vor ihm gezittert. Nachdem Lewis ihn
kennengelernt hatte, konnte er sich das durchaus vorstellen.
    «Gar nichts?» wiederholte Morse, als sie an der
Tür standen.
    «Nein, mehr kann ich

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