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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Zähne
auffallend gut, starker Schmelz, nur eine Füllung (Sechser unten links).
Besondere Kennzeichen: Nicht feststellbar, allerdings auch nicht
auszuschließen. Das größte Hautstück, das aus dem unteren Spann (links)
entnommen werden konnte, hat nur die Abmessungen...
     
     
    Lewis gab den Bericht zurück. Er war nicht
scharf darauf, an das Bild erinnert zu werden, das ihm der schmale Strahl der
Taschenlampe auf dem Turm gezeigt hatte. Was ihm bevorstand, war schon
unerfreulich genug. Er mußte sich nämlich mit den Plastiktüten beschäftigen, in
denen die Überreste der Kleidung verwahrt waren, die der Tote getragen hatte.
Morse hatte es abgelehnt, sich an diesem unappetitlichen Geschäft zu
beteiligen, und ließ nur mäßiges Interesse erkennen, als er seinen Untergebenen
befriedigt pfeifen hörte.
    «Was haben Sie gefunden, Lewis? Ein Etikett mit
seinem Namen und seiner Telefonnummer?»
    «So was in der Art, Sir.» Mit einer Pinzette hob
Lewis einen Papierstreifen hoch. Es war ein Busfahrschein. «Hat in der
Brusttasche der Jacke gesteckt. Fahrschein für 30 Pence, am 26. Oktober. Dürfte
der Fahrpreis von Kidlington nach Oxford sein.»
    «Bestimmt inzwischen schon wieder teurer
geworden», brummte Morse.
    Lewis’ Augen funkelten vor Aufregung. «Das war
der Tag, an dem Paul Morris verschwunden ist, stimmt’s?»
    «Daten waren noch nie meine Stärke», sagte
Morse.
    Aber jetzt war Lewis voll in Fahrt. «Schade, daß
er so gute Zähne hatte, Sir. Wahrscheinlich war er seit Jahren nicht mehr beim
Zahnarzt. Trotzdem müßte es möglich sein—»
    «Sie setzen da eine Menge als selbstverständlich
voraus. Wir haben keinen Beweis dafür, wer der Mann ist. Und bis dahin —»
    «Stimmt. Aber es ist auch sinnlos, vor dem, was
klar auf der Hand hegt, die Augen zu verschließen.»
    «Und das wäre?»
    «Daß der Mann, den wir gefunden haben, Paul
Morris ist», erklärte Lewis überzeugt.
    «Nur weil irgendwelche Schulkinder sagen, daß er
anthrazitfarbene Anzüge trug —»
    «— und einen blauen Schlips.»
    «Schön. Aber deshalb braucht er noch nicht Paul
Morris zu sein. Sie treiben’s schon so schlimm wie ich, Lewis.»
    «Glauben Sie, daß ich unrecht habe?»
    «Das würde ich nicht sagen. Ich bin vielleicht
nur ein bißchen vorsichtiger als Sie.»
    Das war zum Lachen. Morse war, wie Lewis nur zu
gut wußte, immer bereit, einen Schuß ins Blaue abzugeben. Und doch schien er
jetzt für die Fakten blind zu sein. Ach, was sollte er sich groß aufregen...
    Binnen zehn Minuten hatte Lewis festgestellt,
daß Paul Morris in der Gemeinschaftspraxis von Kidlington in Behandlung gewesen
war, und nachdem er die Leute dort höflich, aber deutlich unter Druck gesetzt
hatte, suchte ihm der Seniorpartner der Praxis die Karteikarte heraus.
    «Na?» fragte Morse, als Lewis aufgelegt hatte.
    «Paßt recht gut. Achtunddreißig, 1,70 m,
hellbraunes Haar...»
    «Paßt auf eine Menge Leute. Der typische
Durchschnittsmensch.»
    «Ich habe fast den Eindruck, als ob Sie überhaupt
nicht wissen wollen, wer der Mann ist.» Lewis stand auf und sah Morse ungewohnt
verärgert an. «Tut mir ja leid, wenn das nicht zu einer Ihrer schlauen Theorien
paßt, aber irgendwo müssen wir doch mal anfangen.»
    Morse schwieg eine Weile, und als er den Mund
aufmachte, schämte sich Lewis seines Ausbruchs.
    «Begreifen Sie denn nicht, Lewis, warum ich
immer noch hoffe, daß dieser faulende Kadaver nicht Paul Morris ist? Wenn Sie
nämlich recht haben, müssen wir uns tummeln. Dann müssen wir die nächste Leiche
suchen, alter Freund. Eine Leiche im Alter von etwa zwölf Jahren.»
     
     
    Der Besitzer der Liegenschaft Home Close 3 in
Kidlington hatte, wie Bell, die Grippe, gestattete aber Morse unter
wiederholtem Niesen, sich in dem Haus umzusehen, das nach dem Verschwinden von
Morris an ein junges Ehepaar mit kleiner Tochter vermietet worden war. Als
Lewis klopfte, rührte sich nichts. «Wahrscheinlich einkaufen», sagte er und
setzte sich wieder neben Morse in den Dienstwagen.
    Morse nickte und sah sich um. Die Bebauung der
kleinen Straße stammte aus den dreißiger Jahren, etwa ein Dutzend
Doppelhaushälften aus Backstein, denen man allmählich ihr Alter ansah.
Besonders an den hölzernen Zäunen hatte der Zahn der Zeit schon ganz erheblich
genagt.
    «Sagen Sie mal, Lewis, wer hat Ihrer Meinung
nach Josephs umgebracht?» fragte er plötzlich.
    «Ich weiß, daß es keine besonders originelle
Lösung ist, Sir, aber ich tippe auf den Stadtstreicher.

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