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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Vermutlich war er auf
das Kollektegeld aus, Josephs ist ihm in die Quere gekommen, und da hat er ihn
erstochen. Eine andere Möglichkeit—»
    «Aber warum hat Josephs nicht Zeter und Mordio
geschrien?»
    «Er hat ja versucht, um Hilfe zu rufen, Sir.
Vielleicht war er über der Orgel nicht zu hören.»
    «Könnte sein», sagte Morse so ernsthaft, als sei
ihm plötzlich aufgegangen, daß es nicht unbedingt verkehrt war, sich auch
einmal mit dem Naheliegenden zu beschäftigen. «Und was ist mit Lawson? Wer hat
den umgebracht?»
    «Sie wissen besser als ich, Sir, daß die
Mehrzahl der Mörder sich entweder selbst stellt oder Selbstmord begeht. Es kann
wohl kaum ein Zweifel bestehen, daß Lawson sich selbst getötet hat.»
    «Aber nach Ihrer Theorie hat Lawson Josephs gar
nicht umgebracht. Sie sagten eben —»
    «Eine andere Möglichkeit, wollte ich sagen,
wäre, daß Lawson zwar Josephs nicht eigenhändig umgebracht hat, daß er aber für
den Mord verantwortlich war.»
    Morse sah seinen Untergebenen mit ungeheucheltem
Interesse an. «Ach ja? Das müssen Sie mir schon ein bißchen genauer erklären,
da komme ich nämlich nicht mehr mit.»
    Lewis gestattete sich ein zufriedenes Lächeln.
Es passierte nicht oft, daß Morse das Schlußlicht machte. Meist war er seinem
Stallgefährten um drei oder vier Längen voraus. «Ich halte es für sehr
wahrscheinlich, daß Lawson diesen Penner dazu gebracht hat, Josephs umzubringen.
Wahrscheinlich hat er ihm Geld dafür geboten.»
    «Aber warum sollte Lawson Josephs umbringen
wollen?»
    «Josephs muß ihn irgendwie in der Hand gehabt
haben.»
    «Und Lawson muß diesen Penner in der Hand gehabt
haben.»
    «Ganz recht, Sir.»
    Morse sah seinen Sergeant leicht verblüfft an.
Er erinnerte sich an seine Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium. Da hatte er neben
einem Jungen gesessen, dessen Blödheit sprichwörtlich war und der schon das
zehnte Anagramm gelöst hatte, während er, Morse, noch über dem dritten brütete.
    «Wie ich es sehe», fuhr Lewis fort, «hat Lawson
sich doch rührend um ihn gekümmert, hat ihn verpflegt, gekleidet,
untergebracht.»
    «Hat gewissermaßen den Bruder für ihn gespielt,
meinen Sie?»
    «Wohl nicht nur gespielt, Sir.»
    «Sie sollten nicht jeden Klatsch glauben, den
Sie hören.»
    «Und Sie sollten so was nicht automatisch
abtun.»
    «Wenn wir nur ein bißchen handfestere Beweise
hätten, Lewis.» Und dann kam ihm, wie meist, die Erkenntnis in einem jähen
Geistesblitz. Seit dem Besuch in Stanford hatte er ja seinen Beweis. Der Name
«Swanpole» war mehrmals in Bells Unterlagen aufgetaucht, man nahm an, daß dies
der Name des Mannes war, um den sich Pfarrer Lionel Lawson so liebevoll
gekümmert hatte und der nach dem Mord an Josephs spurlos verschwunden war. Doch
wenn die Gerüchte stimmten, hieß der Mann in Wirklichkeit Philip Edward Lawson,
und ob man ein ziemlich schüchterner Knabe war, der sich mit seinem Fragebogen
für die Aufnahmeprüfung mühte, oder ein säuerlicher Kriminalbeamter mittleren
Alters in einem Streifenwagen — die Tatsache blieb, daß Swanpole ein
Anagramm für P. E. Lawson war.
    «Das dürften sie sein», sagte Lewis leise.
Tatsächlich bestätigte die hochschwangere, schlampig gekleidete junge Frau, die
ein zweijähriges Kind über den Gehsteig zerrte, daß sie in der Home Close 3
wohne. Ja, dies sei ihre Tochter Eve, und wenn der Hauswirt nichts dagegen
hatte, könnten sie gern hereinkommen und sich umsehen.
    Morse lehnte die angebotene Tasse Tee ab und
ging nach hinten in den Garten. Dort war offensichtlich jemand sehr fleißig
gewesen. Das Gelände war gründlich umgegraben worden, und die Zinken der
Grabgabel und der untere Teil des Spatens in dem kleinen Geräteschuppen waren
spiegelblank.
    «Ihr Mann ißt wohl gern selbst angebautes
Gemüse», sagte Morse leichthin, während er sich auf der Matte an der Hintertür
die Schuhe abputzte.
    Sie nickte. «Vorher war das alles Rasen, aber
bei den heutigen Preisen...»
    «Sieht aus, als wäre er zweimal drübergegangen.»
    «Stimmt. Es hat eine kleine Ewigkeit gedauert,
aber anders geht es nicht, sagt er.»
    Morse, der kaum eine Zuckererbse von einer
Stangenbohne unterscheiden konnte, nickte weise und nahm dankbar zur Kenntnis,
daß er den Garten abhaken konnte.
    «Kann ich wohl mal eben nach oben gehen?»
    «Aber ja. Wir benutzen nur zwei Schlafzimmer,
wie die Leute, die vor uns hier gewohnt haben. Aber man kann nie wissen...»
Morse warf einen Blick auf ihren gewölbten Leib und

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