Eine Mittelgewichts-Ehe
konnte - für Hauptmann Kudaschwilis heldenhafte Teilnahme an der Verteidigung der großen Stadt Kiew, Hauptstadt der Ukraine, verliehen wurde. Aber vielleicht ist das nur ein Symbol.
So kehrte Utsch mit ihrem Vormund Hauptmann Kudaschwili in den Vierten Bezirk zurück und teilte während der zehn Jahre, die die Alliierten die Stadt Wien besetzt hielten, das Quartier des Hauptmanns mit einer Gelegenheitshaushälterin, Babysitterin und Waschfrau namens Drexa Neff. Frau Neff mochte die Russen ebensowenig wie die meisten Wiener, aber sie mochte Hauptmann Kudaschwili. Sie war eine sarkastische alte Frau. Ihr Mann hatte sie vor dem Krieg verlassen, und sie hatte ein bißchen Spaß gehabt, als ein junger Österreicher, der zu schwächlich war, um Soldat zu werden, ihr, wenn er die Wäsche seiner Mutter abholte, zwanzig Schilling die Woche dafür bezahlte, daß sie im Bügelzimmer etwas Extraes mit ihm machte.
Drexa Neff schalt und plagte Utsch, aber sie kümmerte sich um sie. Kudaschwili begleitete Utsch jeden Tag fürsorglich zur Schule, und Drexa Neff kam zur Schule, um sie abzuholen und nach Hause zu begleiten. Wenn die anderen Kinder sie drangsalierten, sagte Drexa Neff ihr, sie solle zu ihnen sagen: »Hauptmann Kudaschwili ist ein anständiger Mensch, obwohl er Russe ist, und das ist mehr, als manche von euch von ihren Vätern behaupten können, wenn ihr überhaupt noch einen Vater habt ...« Was Utsch natürlich nie sagte.
Es war Drexa Neff, die Utsch darauf vorbereitete, Russin zu werden. Drexa meinte, die Schule sei Zeitverschwendung für Utsch. »Ja, aber haben sie euch heute auch beigebracht, wie das auf russisch geht?« pflegte sie nach der Schule zu fragen. »Denn dorthin nimmt er dich mit, Liebchen, wenn er dich nicht hier läßt - und der Kudaschwili ist ein zu anständiger Mensch, um dich einfach irgendwo zu lassen, das solltest du bereits wissen.« So hörte Utsch auf ihren Vormund und lernte die russische Sprache von ihm, desgleichen ein Spiel namens Telefon. Sie lernte, nie nach draußen zu gehen, ohne zuvor 06-036-27 anzurufen. Damals gab es noch keine Direktwahl; Utsch mußte der Vermittlung die Nummer sagen. Sie lernte sie auswendig: »Null sechs, null sechsunddreißig, siebenundzwanzig.« Es war Hauptmann Kudaschwilis Amtsnummer; sie erfuhr nie, wo das war, und der Hauptmann nahm nie selbst den Hörer ab. Sie rief an und wartete dann in der Wohnung oder der Wäscherei, wo Drexa Neff bügelte und redete.
Gewöhnlich kamen zwei Männer sie abholen. Es waren nie andere Russen; sie trugen nie Uniform. Aber sie arbeiteten für die Russen. Utsch weiß noch, daß sie sehr wachsam waren. Manchmal folgten sie ihr in kurzem Abstand, anstatt neben ihr herzugehen, und wann immer jemand Utsch ansprach, kamen die beiden Männer ganz plötzlich heran, und wer immer Utsch angesprochen hatte, sagte, daß es ihm sehr leid tue.
Natürlich wurde ihr erst viel später klar, wer die beiden Männer waren und warum sie beschützt werden mußte. Die meisten Leute im russischen Sektor brauchten Schutz, aber Utschka war »die Tochter dieses russischen Hauptmanns oder irgend so was« und mußte vor den Anti-Sowjets beschützt werden. Die Männer, die ihre Leibwächter waren, waren Mitglieder der berüchtigtsten Verbrecherbande von Wien: der Benno-Blum-Bande, eines Rings von Zigarettenschmugglern und Schwarzhändlern der kostbaren Nylonstrümpfe, um nur ihre harmloseren Branchen zu erwähnen. In Wirklichkeit waren sie verantwortlich für das »Verschwinden« jenes berühmten einen Drittels der Anti-Sowjets in Wien. Man ließ sie in ihren Schmalspurverbrechen florieren, beschützt von der Polizei in der russischen Zone wegen der Dienste, die sie den Russen als Gegenleistung erwiesen. Sie brachten Leute um. Es ist wahrscheinlich, daß Hauptmann Kudaschwili teilweise für sie zuständig war, und natürlich ist es wahrscheinlich, daß die Leute in Utschs Nachbarschaft das wußten. Jeder Wiener, der ihre Geschichte kannte, würde ihr nichts Böses wünschen, aber sie war ein Verbindungsglied zu Kudaschwili, und ihm wünschten sie bestimmt einiges Böses. Die Benno-Blum-Bande schmuggelte mehr als Zigaretten und Nylonstrümpfe; sie verschob Leute - für immer. Utsch war vielleicht das bestbewachte Kind im Vierten Bezirk.
Severin Winter, der es noch nie gemocht hat, Zweiter zu sein, hat gesagt, Utsch sei nicht das bestbewachte Kind im Vierten Bezirk gewesen; er behauptete, das sei er gewesen. Natürlich wurde er vor den Russen
Weitere Kostenlose Bücher