Eine Mittelgewichts-Ehe
Amerika zurück, aber ich muß zuerst ein paar von diesen Bildern losschlagen. Das ist eine Chance für mich, muß ich Ihnen sagen.« Und plötzlich begriff Edith, daß er von Geld redete; er redete mit der Vertreterin des Museum of Modern Art in New York, die gerade aus Paris eingeflogen war, um einen zweiten Blick auf den alten Kurt Winter zu werfen. Ihr wurde klar, daß sie keine Ahnung hatte, wieviel Geld das Modern bezahlen würde, aber sie glaubte nicht, daß es viel sein würde. Mein Gott, vielleicht würden sie einen Kurt Winter nur als Geschenk ins Auge fassen!
Lief das nicht üblicherweise so? Und nur eins - allerhöchstens zwei -, hatte ihre Mutter gesagt.
Aus irgendeinem Grund berührte sie seine Hand; seine verdammten körperlichen Gewohnheiten waren ansteckend. Aber ehe sie etwas sagen konnte, lehnte sich Frau Reiner an Severin; sie biß ihn ins Ohr, nahm sein Kinn in die Hand, drehte seinen Kopf zu sich und küßte ihn ausgiebig auf den Mund. Edith konnte sehen, wohin Frau Reiners Zunge ging. Severin wirkte nicht überrascht, nur gestört, aber Frau Reiner warf Edith einen sehr klaren Blick zu, unter dem Edith ganz klein wurde. Sie kam sich wie ein sehr junges Mädchen vor. Die Freundin seiner Mutter, ach wirklich! Und so sprudelte sie hervor: »Ich sehe mir schon den ganzen Abend Ihr Kleid an, und ich komme einfach nicht drauf, wie es funktioniert.« Frau Reiner war überrascht, daß Edith sie ansprach; sie konnte es natürlich nicht verstehen. Aber Edith sagte all das für Severin. »Ich frage mich, ob Gustav Klimt dieses Kleid für Sie entworfen hat«, sagte sie; Frau Reiner versteifte sich bei dem Wort »Klimt«, während Edith fortfuhr: »Ich meine, es sieht wie ein Klimt aus; die leuchtende Vergoldung, die kleinen Vierecke, die ägyptischen Augenformen. Aber so wie Sie es um sich gewickelt haben, kommt es irgendwie nicht richtig zur Geltung.« Sie hielt inne, verlegen; sie konnte sich nicht erinnern, sich je zuvor produziert zu haben.
Und Severin antwortete mit seinem Jungengesicht, doch mit der gleichen, irritierenden Väterlichkeit, die sie von anderen Männern gewohnt war. »Ich glaube nicht, daß ich das für Sie übersetzen soll«, sagte er. Aber er lächelte dabei; er zeigte ihr seinen neckenden Zahn. »Aber ich übersetze es natürlich, wenn Sie möchten.«
»Bitte nicht«, sagte sie. Und in einem Ausbruch von Aufrichtigkeit: »Ich finde, sie ist zu alt für Sie.« Das berührte ihn; zum erstenmal sah er befangen aus. Aber es bedrückte sie, daß sie es gesagt hatte; warum kümmert mich das? sagte sie beinahe laut.
Sie fuhren alle in einem Taxi nach Hause. Frau Reiner saß auf Severins Schoß; zweimal leckte sie sein Ohr. Edith war zwischen ihnen und entweder Zivan oder Vaso eingeklemmt - sie konnte sie immer noch nicht auseinanderhalten -, und der andere saß vorn.
Sie setzten Edith bei ihrem Hotel am Schwarzenbergplatz ab. »Ah, Geld«, sagte Frau Reiner und betrachtete das Hotel. Edith konnte genug Deutsch, um zu verstehen, was das hieß.
»Na ja, man kennt das Museum of Modern Art«, sagte Severin auf englisch. Es war Edith - nicht Frau Reiner -, die er ansprach, und Edith wußte, daß er wußte, daß sie viel Geld hatte. Möglicherweise war das Museum of Modern Art einfach auch etwas, was er lustig fand.
Sie fühlte sich schrecklich. Aber als sie aus dem Taxi schlüpfte - einer der alten C etnic-Ringer hielt ihr wie ein Leibwächter die Tür auf -, hob Severin Frau Reiner von seinem Schoß, setzte sie auf dem Rücksitz ab, kam um das Taxi herum und sagte zu Edith: »Ich bin Ihrer Meinung. Und ich treffe Sie um zehn im Belvedere.« Er schüttelte ihr so rasch die Hand, daß sie keine Zeit hatte, fest zuzudrücken, ehe er ins Taxi zurückhüpfte. Die alten Ringer riefen ihr im Chor etwas zu, und sie stand in der Hotelhalle und sah sich in zwanzig goldgerahmten Spiegeln, ehe ihr klar wurde, daß sie nicht genau wußte, worüber Severin Winter mit ihr einer Meinung war. Frau Reiners Gustav-Klimt-Kleid? Oder daß Frau Reiner zu alt für ihn war?
Edith ging auf ihr Zimmer und nahm noch ein Bad. Sie ärgerte sich über sich selbst. Sie kam zu dem Schluß, daß sie sich so wenig in ihrem Element gefühlt hatte, daß sie sich produziert hatte. Sie kam zu dem Schluß, daß das alles sehr sonderbare Leute waren, Bewohner einer Großstadt, wie ihre Mutter geschrieben hatte, die »das zwanzigste Jahrhundert nie ernst nahmen«. Die Bemerkung ist völlig richtig. Einmal fragte ich Severin,
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