Eine Mittelgewichts-Ehe
beschützt, nicht von ihnen; seine Situation war typischer. Seine Mutter hatte ihn bei Kriegsende aus London zurückgebracht; sie hatte immer noch viele von Kurt Winters Gemälden übrig, und viele waren in Wien geblieben. Sie kam Kurt Winter suchen, aufgrund der geringen Chance, daß sie ihn wirklich finden würde, und bestand darauf, wieder ihre alte Wohnung in der Schwindgasse zu beziehen, obwohl ihre Freunde ihr sagten, daß sie im russischen Bezirk lag. Sie bestand darauf. Wo sonst würde ihr Mann nach ihr suchen?
Katrina Marek war während des Krieges in London nicht Schauspielerin gewesen, und sie kehrte nie wieder auf die Bühne zurück. Sie war in London Künstlermodell gewesen, und diese Arbeit nahm sie 1945 in Wien auf. Sie war recht gut bekannt zu der Zeit, als Severin jeden Morgen zu einer höheren Knabenschule geführt wurde. Sie wollte nicht, daß ihr Sohn sein Englisch vergaß. »Es ist deine Fahrkarte aus diesem alten Pferdestall, dieser schmierigen Küche«, sagte sie ihrem Sohn, und sie bestand darauf, daß er jeden Tag aus dem russischen Sektor in den amerikanischen Sektor und die amerikanische Schule und dann zurück nach Hause in die russische Zone geführt wurde. Es war ein Glanzstück an Überwindung des Amtsschimmels, mit dem nur wenige fertig geworden wären, aber Severin hatte Begleiter, die den Rummel kannten. Freunde seiner Mutter waren Severins Begleiter, die beiden gefragtesten männlichen Modelle in Wien. Severin behauptet, sie seien in Güterslohs Klassen an der Wiener Akademie fast so beliebt gewesen wie seine Mutter. Katrina hatte sie kennengelernt, als ein Maler sie gebeten hatte, mit ihnen bei einer gemeinsamen Sitzung Modell zu stehen. Es waren natürlich Zivan Knesevi c und Vaso Trivanovi c, die Ringer von den Spielen 36 in Berlin. In den Jahren, in denen Wien besetzt war, waren Vaso und Zivan noch jung und stark. Sie waren außerdem ehemalige C etnic-Guerillas, und ihre bleibende Verachtung für die Russen machte ihre täglichen Ausfälle in die russische Zone und wieder hinaus sehr befriedigend für sie.
Aber Severin Winter hat sie nicht mehr alle, wenn er mir weismachen will, daß zwei Ex-Ringer es je mit der Benno-Blum-Bande hätten aufnehmen können. Zum Glück für ihn haben sich ihre Pfade nie gekreuzt. Man hätte diese ehemaligen Athleten aufgedunsen in der Donau gefunden, Nylonstrümpfe über den Gesichtern und um ihre Hälse geschnürt - eine Spezialität der Blum-Bande.
Es ist allerdings ein Wunder, daß ihre Pfade sich nie kreuzten - Utsch jeden Morgen mit dem Hauptmann auf dem Weg zur Schule oder auf Einkaufsbummel mit Benno Blums gedungenen Mördern, die ihre Schokolade trugen; es ist ein Wunder, daß sie nicht ein Mal auf der Straße an dem kleinen, dunklen, athletischen Jungen in Gesellschaft seiner Ringer vorbeikam. Vielleicht erinnern sie sich einfach nicht mehr. Es ist wahrscheinlich, daß sie einander mindestens einmal sahen, denn zehn Jahre lang wohnte Utsch neben der bulgarischen Botschaft in einer Wohnung im zweiten Stock, genau gegenüber der Marekschen Wohnung im zweiten Stock in der Schwindgasse. Sie hätten einander in die Fenster schauen können.
Und sie benutzten dieselbe Wäscherei. Zumindest einmal, während Utsch dasaß und Drexa Neff zuhörte oder ihr half, die saubere Wäsche zu stapeln, muß Severin in den Dampf hereingekommen sein, flankiert von seinen Ringern, und gefragt haben, ob die Wäsche seiner Mutter fertig sei.
»Sie hatte nicht viel Wäsche«, sagte Winter. »Sie kleidete sich ziemlich zwanglos.«
Welche Untertreibung. Katrina Marek ging jeden Morgen Modell stehen, in ihrem wadenlangen, braunen Bisammantel, dem Geschenk eines amerikanischen Malers, dem sie in London Modell gestanden hatte. Er hatte einen Kragen, der sich bis über ihren Kopf hochklappen ließ, und unter dem Mantel lugten die Enden ihrer schenkelhohen, orangefarbenen Strümpfe hervor. Das waren die gleichen Strümpfe - das heißt, das gleiche Orange, wenn auch nicht dasselbe Paar -, die das Modell auf Schieles ›Wally mit roter Bluse‹ (1913) und ›Frau mit purpurroter Boa‹ (1915) trägt. Katrina Marek hatte mehrere Paar. Ihre Werktagswäsche war charakteristisch leicht. Zentralheizung war selten in Wien; wenn sie nicht Modell stand, behielt sie ihren Bisammantel an. Unter dem Mantel trug sie orangefarbene Strümpfe und sonst nichts.
»Mutter zog sich an, wenn sie nach Hause kam«, sagte Winter. »Oder sie schenkte sich's, wenn es spät war.«
Utsch
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