Eine Mittelgewichts-Ehe
lieben, bevor ich mich anzog und ging, aber sie ließ mich nie. Sie sagte, Severin warte nicht gern darauf, daß ich ging; offenbar war das hart für ihn. Ich erbot mich oft, derjenige zu sein, der als erster ging. Ich sagte ihm, es würde mir nichts ausmachen, ihn und Utsch zu wecken; ich sagte, es würde mir nichts ausmachen zu warten. Aber er mußte derjenige sein. Nur einmal, als er damit einverstanden war, daß ich zu ihnen kam, blieben er und Utsch zusammen, bis ich nach Hause kam. Und da war ich spät dran - als ob das etwas ausmachte! Ich hatte drei oder vier Uhr gesagt, aber Edith und ich hatten verschlafen; ich kam mehr so gegen fünf nach Hause und traf ihn dabei, wie er wutschnaubend und in der Kälte zitternd den Bürgersteig vor unserem Haus auf und ab marschierte, nicht einmal bei Utsch geblieben war. Er stieg in sein Auto und fuhr heim, ehe ich auch nur den Mund aufmachen konnte.
Wenn man um drei oder vier Uhr morgens aufsteht, ist es immer kalt. Ich stolperte nach unten, nachdem ich Edith zum Abschied geküßt hatte - ihr Atem war ein wenig herb von den Zigaretten und dem Wein und dem Schlaf, aber er hatte einen reifen Duft, wie das Bett, und erregte mich immer. Unten leerte Severin Aschenbecher, schwenkte Gläser aus und füllte die Geschirrspülmaschine. Er wollte nie reden; er nickte zum Abschied. Einmal, als ich an seiner ruhelosen Geschäftigkeit um die Geschirrspülmaschine merkte, daß ich zu lange gebraucht hatte zum Anziehen, bot er mir für die Heimfahrt eine kalte Dose Bier an. »Das hilft, die Trägheit zu vertreiben«, sagte er. Und ich ging nach Hause zu Utsch, deren Atem fruchtig und süßlich abgestanden war; unser Bett war mit ihren Kleidern übersät, die Matratze halb zu Boden geglitten. Und dann trottete ich durchs Haus - leerte keine Aschenbecher, sondern räumte die Apfelgehäuse und Birnenbutzen, Käserinden, Salamipellen, Traubenstiele und leeren Bierflaschen weg. Er wußte, wie Essen im Schlafzimmer mich anwiderte! »Und du weißt, wie er Ediths Raucherei haßt«, sagte Utsch. »Er sagt, ihr laßt überall im Haus wie Kamine qualmende Aschenbecher herumstehen.« Eine leichte Übertreibung. Er war auch ein Irrer, was den Umgang mit seinen Schallplatten anging, und tobte offenbar darüber, wie ich sie behandelte. Er benutzte immer diese Innenhüllen; er drehte sie seitwärts, so daß man eine Platte zweimal herausnehmen und zurückstecken mußte. »Er glaubt, daß du seine Plattensammlung absichtlich schlecht behandelst«, sagte Utsch.
»Es ist wie mit den verdammten Eisschalen«, sagte ich zu ihr. »Er schnauzt Edith an, weil sie die Eisschalen nicht auffüllt, du lieber Himmel. Wir füllen einen Kübel, um den Wein zu kühlen, und er will alle Eisschalen in dem Augenblick aufgefüllt haben, in dem sie geleert werden.«
»Und dazu habt ihr's zu eilig?« fragte Utsch.
»Hör auf!« rief ich.
Wenn ich Utsch in diesen Stunden vor Tagesanbruch sah, hingerekelt, geil und geschändet, fühlte ich mich zu ihr und zu der Leidenschaft hingezogen, die er in meiner Vorstellung in ihr hervorgerufen hatte. Ich ging immer zu ihr, erstaunt, daß mein Verlangen zum dritten oder vierten Mal an diesem Abend wiedergeweckt wurde. Und manchmal ging sie darauf ein, als sei auch ihre Begierde endlos - als lockte Ediths Geruch an mir sie noch einmal aus der Reserve und machte die Fremdheit unserer vertrauten Körper besonders verführerisch. Aber oft stöhnte Utsch und sagte: »O Gott, ich kann einfach nicht, bitte, ich kann's nicht nochmal machen. Holst du mir ein Glas Wasser?« Und sie lag still, als wäre sie innerlich verletzt und hätte Angst vor einer Sickerblutung, und manchmal waren ihre Augen verschreckt, und sie drückte meine Hand an ihre Brust, bis sie einschlief.
Edith sagte, sie verspüre wie ich die gleiche erregte Empfänglichkeit, wenn Severin endlich ins Bett kam; sie hielt die Stelle, die ich in ihrem Bett verlassen hatte, für ihn warm, und ihre Vorstellung von ihm mit Utsch erregte sie und hielt sie wach - obwohl er oft noch lange, nachdem ich gegangen war, im Erdgeschoß des Hauses herumwerkelte und - hantierte. Wenn er ins Bett kam, raunte und flüsterte sie ihm zu; sie roch gern an ihm. Wir waren alle in jener vollschweren Phase, wo süße Düfte in Zersetzung übergehen. »SexSchnüffler« nannte uns Severin einmal.
Aber Severin Winter stieg ins Bett wie ein Soldat, der in einem feuchten Schützenloch Trost sucht; er mußte erst das Zimmer von Weingläsern, dem
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