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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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»Ich lauf mal ein paar«, sagte er dann und stand von Winter auf, der genauso liegen blieb, wie Bender ihn hatte liegen lassen, und den Gebrauch von Armen und Beinen wiedergewann und das Atmen wiederentdeckte. Wenn er mich sah, wedelte er mit dem Finger und versuchte es ein paar Minuten später mit Reden. »Kommst dir ansehen ... wie ich ... Prügel kriege?«
    Er grinste. Auf seinen Zähnen lag ein feiner Blutschaum; irgendein harter Teil von Bender hatte ihm die Lippe gespalten. Er ließ sich auf den Rücken plumpsen. Durch meine Socken fühlte sich die Matte wie ein warmer, feuchter Schwamm an. Winter wollte, daß alle Besucher ihre Schuhe an der Tür ließen.
    »Severin«, sagte ich, während er immer noch zu schlapp war, um einen Satz zu Ende zu bringen, »das ist eine seltsame Art für einen Fünfunddreißigjährigen, sich zu amüsieren.«
    »Der wird mal Landesmeister«, brachte Severin heraus.
    »Und du wirst Zweiter«, sagte ich zu ihm. Aber obwohl er über die Geschichte seines zweiten Platzes scherzte, mochte er es nicht, wenn ich darüber sprach, und so wechselte ich das Thema. Nein, ich erzählte ihm eine schlechte Allegorie, von der ich glaubte, er würde sie komisch finden.
    Ich erzählte ihm von dem französischen Flieger-As des Ersten Weltkrieges, Jean Marie Navarre, der schwor, er hasse das Töten. Navarre behauptete, er sei ein Entertainer; wenn er keine deutschen Flugzeuge ausmachen konnte, veranstaltete er für die Truppen in den Schützengräben Flugshows mit seinen Kunststücken. Er hatte mehr als hundertfünfzig Luftkämpfe über Verdun, und bis Mai 1916 hatte er zwölf deutsche Flugzeuge abgeschossen. Aber er wurde kurz darauf verwundet und verbrachte den Rest des Krieges inner- und außerhalb von Lazaretten. Seine Stimmung war schlecht; sein Bruder starb; er nahm häufig »Genesungsurlaub« - als flotter Dandy trug er einen seidenen Damenstrumpf als Mütze. In Paris, so wird berichtet, habe er mit seinem Auto einen Gendarmen über den Bürgersteig gejagt. Irgendwie überlebte er den Krieg, aber er kam weniger als ein Jahr später bei einem Friedens-Kunststück um, als er versuchte, mit dem Flugzeug unter dem Arc de Triomphe durchzufliegen.
    Als ich sah, wie die Geschichte Severin berührte, war ich seinetwegen peinlich berührt. »Ich finde, diese Geschichte hat überhaupt nichts Komisches«, sagte er. Natürlich nicht; sogar der Humor mußte seinen Maßstäben entsprechen.
    Zum Beispiel beim Thema Trancen: keiner war seiner Meinung. Utsch spekulierte gern darüber, wie Tyrone Williams seine berühmten Ausfallserscheinungen unter Kontrolle bringen könnte, aber ihre Vorschläge waren eigentlich keine Trainingsmethoden, die Severin Winter anwenden konnte. Und Edith zog Severin gern mit George James Bender auf, dem er ihrer Empfindung nach zuviel Zeit widmete.
    »George James Bender ist in der allergrößten Trance«, sagte Edith. »Ich glaube, sein Kopf ist ständig unter der Dusche.«
    »Sei kein Snob«, antwortete Severin. »Das ist eine Form von Konzentration. Sie ist anders als die Konzentration, die du zum Schreiben brauchst, aber sie ähnelt ihr in der Energie, die sie erfordert.« (Man sieht, wie ernst er das Ringen nahm.) »Klar, Bender ist ein unbedarftes Bürschchen, und sehr naiv. Er ist schüchtern und nicht sehr attraktiv - zumindest nicht für Frauen. Natürlich muß er Jungfrau sein ...«
    »Jungfrau?« sagte Edith. »Sevi, ich glaube nicht, daß der Junge je einen Ständer gehabt hat!«
    Aber sie schien ihren Scherz zu bedauern, kaum daß sie es gesagt hatte, obwohl Severin ein bißchen lachte. Severin wirkte nicht verärgert, aber Utsch und ich bemerkten, wie bemüht Edith den Rest des Abends um ihn war, als ob sie sich an ihn heranmachen würde; sie berührte und streichelte ihn noch mehr als gewöhnlich, und sie war auch diejenige, die sagte, sie sei müde und würde wirklich lieber früh Schluß machen. Utsch und ich gingen zusammen nach Hause, und sie blieb bei Severin. Eigentlich fühlte sich niemand enttäuscht, wir bekamen einander häufig zu sehen, und alle mußten großzügig sein.
    Aber im Auto sagte ich zu Utsch: »Was hältst du davon?« Ich hatte das Gefühl, daß letzthin vielleicht viel von Ständern die Rede gewesen war.
    »Hm«, sagte Utsch, eine Frau, die es mit Einsilblern hatte.
    Wir gingen zu Bett; auch sie sagte, sie sei müde. Ich lag auf meiner Seite des Bettes wach und wollte das Thema eigentlich nicht weiterverfolgen, aber als ich dachte, Utsch

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