Eine Mittelgewichts-Ehe
Mensch«, sagte Edith. »Schlechte Bilder bewegen sie besonders, weil sie so verlegen ist für den Maler, selbst wenn er schon tot ist.« Das stimmt. Es gab nicht ein anständiges Bild in dem Haufen von Kurt Winter; sie hatte seine allerschlechtesten gekauft.
Edith stellte sich kaum geschickter an. In Wien hatte sie sich wie geplant in der Galerie des Zwanzigsten Jahrhunderts des Belvedere mit Severin getroffen. Obwohl er sein Buchstaben-Jackett trug und damit ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte, machten sie trotzdem zusammen eine Art Streifzug durch die Kunstgeschichte. Als sie bei dem großen, quadratischen Gemälde von Gustav Klimt - ›Allee im Park von Schloß Kammer am Attersee‹, ca. 1912 - stehenblieben, sagte Severin: »Sehen Sie dieses Grün? Das konnte mein Vater einfach nicht. Bei meinem Vater waren Bäume Bäume, und Grün war Grün.«
»Sie sollten wissen, daß ich nicht im offiziellen Auftrag ...«, hob Edith an.
»Das ist Klimts ›Judith mit dem Haupt des Holofernes‹, 1901«, sagte Severin. »Sein Bruder Georg hat den Rahmen mit der Inschrift angefertigt.«
»Das Museum of Modern Art hat sich nicht auf einen Preis festgelegt«, fuhr Edith stur fort. »Sie wollen vielleicht nur ein Bild. Wieviel Geld brauchen Sie? Gehen Sie direkt nach Amerika? Gedenken Sie, zuerst herumzureisen?«
»Schieles ›Sonnenblumen‹, 1911«, sagte Severin. »Nicht das, was man sich unter einem Schiele allgemein vorstellt.«
»Meine Mutter und ich wären vielleicht in der Lage, selbst ein oder zwei Bilder zu kaufen, aber was genau werden Sie mit dem Geld anfangen? Ich meine, werden Sie irgendeinem Beruf nachgehen? Sie machen doch einen Doktor? Worin?«
»Gefällt Ihnen ›Der Kuß‹?« fragte Severin.
»Was?«
»›Der Kuß‹, 1908. Es ist einer meiner Lieblings-Klimts.«
»Oh, meiner auch«, sagte Edith. Sie betrachteten das Bild eine Weile, aber es war ›Judith mit dem Haupt des Holofernes‹, das Edith zu der Frage veranlaßte: »Meinen Sie, Klimt mochte die Frauen?«
»Nein«, sagte Severin. »Aber ich glaube, er begehrte die Frauen, war von ihnen gepeinigt, gefesselt, zu ihnen hingezogen.« Sie betrachteten Judiths kräftiges Kinn, ihren offenen Mund, ihre feuchten Zähne, ihr erschreckendes, dunkles Haar. Ihr Fleisch war durchscheinend, vielleicht in Zersetzung begriffen, und ihre langen Finger waren in Holofernes' Haar; sie hielt sich seinen abgeschlagenen Kopf sachlich vor den Bauch, ihr schattenhafter Nabel fast auf einer Höhe mit seinem geschlossenen Auge. Ihre Brüste waren hoch, vorspringend, mädchenhaft, aber weich. Eine war nackt, die andere von einer hauchdünnen Bluse bedeckt; die Vergoldung war so behutsam aufgelegt, daß sie die Brustwarze nicht verbarg. Früchte, Vegetation, möglicherweise ein Wald und ein Garten, wuchsen Judith über die Schulter und umrahmten ihr kaltes, elegantes Gesicht. Aber das tote Haupt des Holofernes war nachlässig aus dem Gemälde ausgespart; sein eines, geschlossenes Auge und ein Teil einer Wange waren alles von ihm, was auf dem Bild war.
»Sagen Sie mir, was es für Sie bedeutet«, sagte Edith zu Severin.
»Sie ist eine Frau, bei der man nichts dagegen hätte, sich von ihr köpfen zu lassen. Sie hätte auch nichts dagegen, es zu tun.«
»›Es zu tun‹? Sie meinen das Köpfen?«
»Beides.«
Sie lachten. Edith kam sich erstaunlich verrucht vor. »Sie hat ihn mit sich schlafen lassen, bevor sie ihn geköpft hat«, sagte Edith. »Man erkennt es an ihrem Lächeln.« Aber das Gemälde hatte etwas Wollüstiges, das mehr, oder Schlimmeres, andeutete, und sie hatte Lust, Severin Winter zu schockieren. »Oder vielleicht hat sie es versucht, nachdem sie ihn geköpft hat.« Severin starrte bloß das Gemälde an, und sie fragte ihn: »Was, meinen Sie, war ihr lieber?«
Aber es war Severin, der sie schockierte, als er sagte: »Während.«
Als nächstes führte er sie ins Museum des Zwanzigsten Jahrhunderts. Auch dort sprachen sie nicht über Kurt Winters Gemälde.
»Geht Frau Reiner mit Ihnen nach Amerika?« fragte Edith.
»Wozu sind alte Freunde da?« fragte Severin. »Alte Freunde fahren nicht mit einem. Alte Freunde bleiben da, wenn man weggeht.«
»Also fahren Sie allein?«
»Na ja, ich werde vielleicht sechzig bis siebzig Kurt Winters mitnehmen müssen.«
»Meine Mutter hat keine sehr offizielle Position«, sagte Edith. (Sie hatte nie bemerkt, daß Turnschuhe bei einem Mann so wirken, als würde er hüpfen.) »Lebt Frau Reiner mit Ihnen
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