Eine Mittelgewichts-Ehe
habe sowieso nie allzu viele männliche Freunde gehabt«, sagte ich zu ihm. »Ich weiß, du hast welche. Wir sind eben verschieden.«
»Ich habe ein paar alte Freunde«, sagte er, »aber zur Zeit keinen in meiner Nähe. Ich habe eigentlich nicht mehr Freunde als du. Ich hatte bloß mal welche.«
»Und Freundinnen?« fragte ich. »Ich meine, seit Edith und vor Utsch?«
»Nicht so viele wie du«, sagte er. Aber er mutmaßte nur; er wußte gar nichts.
»Wie viele sind ›nicht so viele‹?«
»Ziegen mitgerechnet?« fragte er, aber da war dieser gespaltene Zahn, dieser unheilstiftende Zahn, dieser Lügenbold von Zahn. »Wenn du's wissen willst, frag Edith«, sagte Severin.
»Du meinst, sie weiß es?« fragte ich.
»Alles. Wir haben keine Geheimnisse voreinander.«
»Manche Leute möchten lieber nicht alles wissen«, sagte ich. »Utsch und ich sind uns einig - nicht daß wir so häufig untreu wären, oder wie immer du das nennen willst -, daß, wenn einer von uns jemanden hat, bloß eine unbedeutende Gelegenheitsbekanntschaft, wir es nicht wissen wollen. Solange man's nicht merkt, so lange betrifft es uns beide nicht. Und wenn es ein kleines Nichts ist, warum sollten wir's dann wissen? Wir würden uns vielleicht aufregen, wo es doch gar keinen Grund dazu gibt.«
»Ich könnte kein ›kleines Nichts‹ haben«, sagte Severin. »Was hat es für einen Sinn, nichts zu haben? Wenn ich eine Beziehung mit jemand hätte und man würde es nicht merken - und Edith könnte es nicht sehen und spüren -, dann könnte an der Beziehung nicht viel dran sein. Ich meine, wenn man eine gute Beziehung hat, warum sollte einem dann daran liegen, ein kleines Nichts von einer Beziehung zu haben? Wenn man eine gute Beziehung hat, dann ist das um so mehr Grund, noch eine gute zu haben. Und genau da liegt das Problem«, fügte er hinzu.
Ich fragte Edith einmal: »Erzählst du ihm alles von uns?«
»Wenn er fragt«, sagte sie. »Er will das so.« Dann lächelte sie. »Fast alles«, sagte sie. »Aber wenn er immer wüßte, was er fragen muß, würde ich's ihm immer erzählen.«
Im Auto fragte ich ihn: »Findest du nicht, daß das ein Eingriff in die Privatsphäre ist? Findest du nicht, daß es die Unabhängigkeit von jemand anderem verletzt?«
»Was für eine Unabhängigkeit?« fragte er mich. »Ich erkenne den Grad von Unabhängigkeit, den ich nicht habe, ehrlich an, wenn ich mit jemandem zusammenlebe«, sagte er, »und wer immer mit mir zusammenlebt, von dem erwarte ich das gleiche.« (Später, erinnere ich mich, schrie er: »Hier läuft eine ganz schöne Scheiße ab, von wegen auf zwei Hochzeiten tanzen.«)
Das Haus am Cape war dunkler, als wir es verlassen hatten. »Ich wette, die schlabbern sich da drin sozusagen geradewegs auf«, sagte Severin. Aber ich wußte, wie betrunken Utsch gewesen war, als wir gegangen waren, und war nicht überrascht, sie hingesackt auf der Couch zu sehen - vom Wein umgekippt, da war ich sicher, nicht liebestrunken von einer Runde mit Edith. Edith saß da und flocht Utsch Zöpfe, während die schnarchte. Zöpfe schmeichelten Utsch nicht gerade.
»Brünhilde ist vom Met gefällt worden, oder von den Fürsten des Rittersaals, oder von beidem«, sagte Edith. Sie hatte sich das Haar gewaschen; es war in einem großen, pfefferminzgrünen Handtuch hochgesteckt, das aus dem Badezimmer neben dem Grünen Zimmer stammte. Wie ein stattliches englisches Anwesen auf dem Lande hatte das Haus Schlafzimmer mit Namen: das Grüne Zimmer, die Grotte, das Rote des Hausherrn, das Gelbe der Hausherrin. Ich war Ediths Mutter nie begegnet, aber Severin ahmte sie perfekt nach, sagte Edith, und er hatte alle Zimmer für uns umbenannt, als er uns bei der Ankunft das Haus zeigte. Da gab es das Feuchte-Träume-Zimmer - es hatte ein einschläfriges Bett - und das Heiße-und-kalte-Schauer-Zimmer (das Zimmer von Ediths Mutter; sie klagte über solche Symptome) und das Komm-wenn-du-kannst-Zimmer, so benannt wegen seiner Lage neben dem Zimmer von Ediths Mutter (und eine Schicksalsprüfung in den frühen Tagen ihrer Ehe, behauptete Severin; Edith lachte), und das Große grüne Schrauborgasmus-Zimmer - das privateste der oberen Zimmer, das abgelegenste und, wenn das Haus voll war, am begehrtesten. »Es hat die beste OrgasmusBilanz«, behauptete Severin. »Töchter haben Schwierigkeiten, im Haus ihrer Mütter Orgasmen zu haben.« Es hatte ein Messingbett, das dafür berüchtigt war, zusammenzubrechen. An dem glänzenden Fußteil hing, an
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