Eine Mittelgewichts-Ehe
Geräusche, die sie machten, waren ihm offenbar vertraut; er verdrehte die Augen. »Es ist so eine Art Familienscherz«, sagte er ihr.
»Was ist?« flüsterte sie.
»Du wirst schon sehen«, sagte er; er sah besorgt aus. »Es ist wirklich fast schon Tradition. Du mußt es als Zeichen großer Achtung auffassen.« Vor der Schlafzimmertür hörte sie Gerumse und Gekicher. »Es reicht weit zurück«, sagte er nervös; er legte den Arm um sie und lächelte zur Schlafzimmertür hin. Die öffnete sich, und ins Zimmer wehte Frau Reiner, so rosig und fleischig und nackt wie ein Rubens. Vaso und Zivan trugen sie, unter gewissen Schwierigkeiten, auch sie waren nackt. Am Fuße des Bettes nahmen sie rasch zu einer Gruppenpose Aufstellung, die Edith als die von dem alten Foto erkannte. Nur Severins Mutter fehlte; ein Platz für sie trennte Vaso von Zivan. Sie hatten alle Messer und Gabel in den Händen, und Vaso oder Zivan hatte eine Serviette auf dem Kopf. Aber Frau Reiner hatte das Weinglas weggelassen; ihre Brüste hätten es in dem Spalt dazwischen nicht mehr fest einklemmen können. Es muß traurig für Severin gewesen sein, so viel sackendes Fleisch zu sehen. »Gute Reise!« krächzte Frau Reiner, und die alten Ringer brachen in Tränen aus.
»Sie wünschen uns eine gute Reise«, sagte Severin Edith. Später erfuhr sie, daß das Foto ebenfalls bei einer Abschiedsparty für Severin gemacht worden war, als er nach Iowa und in eine möglicherweise leuchtende Ringerzukunft abreiste.
Dann umstanden sie alle das Bett, weinten und tätschelten und küßten jeden. Edith bemerkte, daß die Decken heruntergestreift waren und sie ebenso nackt war wie die anderen. Die alten Ringer schienen sie kaum zu bemerken - eine berufsbedingte Stumpfheit vielleicht -, aber sie erkannte, daß Frau Reiners eingehende Musterung ihres jungen Körpers sowohl die Aufrichtigkeit ihrer Zuneigung als auch die Qual ihres Neides widerspiegelte. Plötzlich umarmte Frau Reiner sie mit erschreckender Leidenschaft; um ihre Wirklichkeit im Griff zu behalten, hielt Edith sich an Severins Schenkel fest, während er von den herumbrüllenden alten Olympioniken gepufft und geknufft wurde.
An Frau Reiners Busen, einen Tummelplatz der Geschichte, gequetscht, erinnerte sich Edith an den Brief ihrer Mutter, in dem stand: »Er hat keine lebenden Familienangehörigen.« Frau Reiner drückte sie in die Kissen; ihre Tränen - ihr Schweiß? - näßten Ediths Gesicht. Edith klammerte sich fester an Severins Schenkel, der bei dem Gewühl ums Bett auch Vasos oder Zivans hätte sein können, und hoffte, Frau Reiner würde sie nicht ersticken. Und er sollte keine Familienangehörigen haben? Ihre Mutter war im Irrtum. Edith wußte, daß Severins Familiensinn verbissener war als bei den meisten. Das hätte uns allen eine Warnung sein sollen.
Ich gebe zu, daß mein eigener Familiensinn unter unserem Vierer litt. An die Kinder erinnere ich mich am allerwenigsten, und das beunruhigt mich. Natürlich hatten wir alle auch andere Freunde und unser Leben mit unseren Kindern. Aber ich weiß nicht mehr, wo die Kinder waren. Einmal, als ich bei Edith war, klopfte Dorabella zaghaft an die Schlafzimmertür. Ich fuhr zusammen; ich dachte, es sei Severin, der früh nach Hause kam, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, daß er so sanft klopfte. Es gab ein hastiges Gewühle von Knien und anderen Gliedmaßen, und ich weiß, daß Edith sich Sorgen machte, daß Severin sie gehört hatte.
»Mami?« sagte Dorabella. Ich kroch unter die Decken, und Edith ließ sie ins Zimmer.
Sie hatte geträumt; das Kind schilderte den Traum mit tonloser, gleichförmiger Stimme, und seine Hand zupfte und tappte nervös an dem Klumpen neben ihrer Mutter, der ich war. »Pscht«, sagte Edith leise, »weck Daddy nicht auf.«
Das Kind stieß mich an. »Warum schläft Daddy so?« Sie machte Anstalten, die Decke zu lüften, aber Edith hielt sie zurück.
»Weil er friert«, sagte Edith.
In dem Traum des Kindes kamen heulende Hunde und ein Schwein vor, das unter einem Auto quiekte, dessen Räder »eingeklappt sind«, sagte sie, »wie die Räder bei einem Flugzeug«. Das Schwein war zerquetscht, aber nicht tot; die Hunde heulten, weil das Gequieke des Schweins ihnen in den Ohren weh tat. Dorabella rannte immer wieder um das Auto herum, aber sie konnte dem Schwein nicht helfen. »Und dann war ich auf einmal unter dem Auto«, sagte das Kind, und seine Stimme zitterte ob dieser Ungerechtigkeit. »Und dann war's mein
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