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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zumindest früher einen Körper gehabt hatte, denn alle auf dem Foto waren nackt. Sie standen vor einem erlesen zubereiteten, in mehreren Gängen auf dem Tisch angerichteten Essen; sie hatten alle Messer und Gabel in den Händen. Vaso oder Zivan trug eine Serviette auf dem Kopf, und zwischen Frau Reiners üppigen Brüsten kippelte gefährlich ein volles Glas Wein. Severins Mutter, die älter und würdevoller aussah als die anderen, lächelte scheu in die Kamera, die Hände spröde über dem Schritt gefaltet. Sie war alles andere als die Katrina Marek im Schlafzimmer; obgleich nackt, sah sie voll bekleidet aus.
    »Haben Sie dieses Foto gemacht?« rief Edith in Richtung Schlafzimmer. Jetzt müßte er sagen: »Welches Foto?«, und sie würde sagen: »Das da«, und er würde von diesem gefährlichen Bett aufstehen und herauskommen müssen. Aber er gab keine Antwort. »Die Suppe ist heiß!« rief sie. Als sie nichts hörte, ging sie zurück; er hatte sich nicht gerührt, seit sie das Zimmer verlassen hatte.
    »Sie müssen gar keins von den Bildern kaufen, wenn Sie nicht wirklich wollen«, sagte er, in die Matratze hinein. »Und wenn Sie das da« - seine Hand wedelte zur Wand hin - »wirklich wollen, dann können Sie es haben.«
    »Ich will mit Ihnen nach Griechenland«, gab Edith zu. Er rührte sich immer noch nicht.
    »Ich will dich«, sagte er. Edith beschloß, also gut, er hat genug gesagt. Sie ließ ihren Rock auf die Füße fallen und stieg heraus, dann zog sie sich die Bluse über den Kopf, so daß ihr Haar knisterte. In jenen Tagen trug sie einen Büstenhalter, und sie hakte ihn auf und hängte ihn über die Rückenlehne eines Stuhls. Dann warf sie ihr Höschen auf Severin, der immer noch quer überm Bett lag wie ein gefällter Ochse. (»Das Höschen flatterte ihm über ein Ohr und blieb dort liegen wie ein gelandeter Fallschirm«, schrieb sie in einem ihrer eher gekünstelten Stücke.) Sie wollte ihm eben in die Augen sehen, als er sich aufsetzte und sie anstarrte; er sprang ganz plötzlich vom Bett auf, reichte ihr verlegen das Höschen zurück und stürzte aus dem Zimmer. Sie dachte, sie würde vor Scham sterben, aber er rief: »Lieber Himmel, die Gulaschsuppe - riechen Sie das nicht?« Übergekocht und angebrannt, nahm sie an. »Mein Gott, was habe ich mir da eingebrockt?« flüsterte sie vor sich hin. Als sie unter die Decken schlüpfte, erkannte sie ihr Parfüm wieder - das heißt, Frau Reiners Parfüm -, das schon auf seinen Kissen war. Er hat mich nicht mal angeschaut, dachte sie.
    Aber er ließ sie nicht lange allein; er kam Kleider abstreifend zurück. Sie hatte noch nicht genügend Männer gekannt, um zu wissen, daß Sportler, wie Frauen, das Umziehen gewohnt sind und sich deshalb gewandt und achtlos ausziehen. Er stand nackt neben dem Bett und ließ sich von ihr anschauen; sie hatte gedacht, daß nur Frauen das täten, und schlug die Decken für ihn zurück, damit er sie anschaute. Er musterte sie für ihr Gefühl etwas zu flüchtig, aber er berührte sie einfach fantastisch und schlüpfte sehr anmutig zu ihr unter die Decke. Na ja, dachte sie, Nacktheit ist bei ihm fast eine Familientradition; vielleicht schaut er später länger hin. Ehe er sie küßte und nicht mehr damit aufhörte, hatte sie kaum Zeit zu sagen: »Ich glaube, ich werde dich mögen.« Sie hatte natürlich recht.
    Fünf Tage später reisten sie nach Griechenland ab; sie wären schon früher gefahren, aber Edith brauchte so lange, um Dias von Kurt Winters besten Arbeiten machen zu lassen und ihrer Mutter zu schicken. »Mutter«, schrieb sie, »ich hoffe, das Modern wird ein oder zwei davon kaufen. Du und ich haben bereits Nummer eins bis vier und ein fünftes, das nicht beiliegt, gekauft. Ich fahre nach Griechenland; ich muß mich wieder ans Schreiben machen.«
    An dem Vormittag, an dem sie abreisen sollten, verabschiedeten Frau Reiner und die jugoslawischen Ringer sie feierlich. Edith und Severin waren im Bett, wo man sie in diesen fünf Tagen regelmäßig hätte antreffen können, als Edith Frau Reiner und die C etnici im Wohnzimmer tuscheln und herumpoltern hörte, gerade als sie und Severin aufwachten. »Frau Reiner hat immer noch einen Wohnungsschlüssel«, sagte Severin Edith, die finster blickte. »Mutter hat ihn ihr gegeben«, flüsterte Severin. »Und Vaso und Zivan haben sich über die Jahre wahrscheinlich sowieso je ungefähr vier Schlüssel angeeignet.« Was die da draußen vorhätten, fragte Edith. Severin lauschte. Die

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