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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ihre Sätze kurz. Ich war verblüfft, was sie alles wußte. »Oder diese Gretchen wie-hieß-sie-gleich? Eine Gasthörerin in was?« Ich konnte es nicht glauben. »Und diese arme, geschiedene Mrs. Stewart. Ich hab nie gewußt, daß du so ein Talent hast, Heißwasserboiler zu reparieren.« Sie steckte mich wieder fein säuberlich in den Mund und behielt mich dort.
    Wußte sie von den anderen? Nicht daß es da viele gegeben hätte, und es war nie etwas Ernstes. Ich konnte mich an keine Zeit erinnern, wo es wahrscheinlich war, daß sie einen Liebhaber gehabt hatte; es hatte nie einen Mann gegeben, den ich im Verdacht hatte. Aber wer konnte schon sicher sein? Zumindest wußte ich, daß Edith bis zu mir nie etwas gehabt hatte. Ich griff in Utschs Mund, um sie zu fragen, aber sie brachte mir mit ihren Schenkeln die Ohren zum Klingen. Was ihre Schenkel sagten, war: »Frag lieber Edith noch mal.« Ich widerstand, aber ihr Rhythmus machte es schwer, mich zurückzuhalten. Und Severin? Dieser moralische Absolutist hatte ganz bestimmt noch nie eine Liebelei gehabt, ehe er und Utsch zusammen auf die Matte gingen.
    »Frag Utsch«, hatte Edith gesagt. Ich versuchte es. Als ich kam, wurde ihr Mund so weich wie eine Blume mit zurückgeschobenen Blütenblättern. Aber obwohl ich gespürt hatte, daß sie mindestens zweimal kurz davor gewesen war, wußte ich, daß sie selbst nicht gekommen war. »Ist schon gut«, flüsterte sie. »Ich krieg meinen später.« Von ihm oder von mir? fragte ich mich. Ich ging ins Badezimmer und trank drei Gläser Wasser.
    Als ich ins Schlafzimmer zurückkam, war sie dabei, sich selbst dazu zu verhelfen. Gelegentlich wurde sie überstimuliert und konnte nur allein fertig werden. Es war heikel, denn manchmal konnte ich ihr helfen, dann wieder störte ich. Es kam darauf an, sich nicht zu sehr einzumischen. Ich legte mich neben sie, berührte sie aber nicht. Ich sah zu, wie sie sich selbst berührte, die Augen fest geschlossen, ein Wunder an Konzentration. Manchmal, wenn ich sie dann berührte, war es genau das, was sie brauchte; ein anderes Mal verdarb es das. Ich erkannte ihren Rhythmus; ich wußte, sie war dicht dran. Ihr Atem setzte aus, wurde dann schneller; ihre Lippen machten eine vertraute, kreisförmige Bewegung. Manchmal brachte ein Wort sie soweit; jedes Wort tat es; es war der Klang meiner Stimme, auf den es ankam. Aber als ich ihre zusammengekniffenen Augen und ihr verzerrtes Gesicht ansah, wußte ich plötzlich, daß ich keine Ahnung hatte, wen von uns sie sah - oder ob es überhaupt einer von uns war! Ich wollte sie anschreien: »Ist es er oder ich?«, aber ich wußte, das würde sie ablenken. Und dann kam sie, ihre Stimme hob in ihrer Kehle an und reichte tiefer, ihr ganzes Zwerchfell war in Bewegung wie beim Brüllen eines Löwen. Sie kam, und nichts würde es aufhalten; ich könnte alles tun - schreien, beißen, sogar in sie gleiten. Jetzt war es geschafft, aber ich tat nichts. Ich suchte in ihrem Gesicht nach einem Hinweis. Ich lauschte auf seinen Namen - oder meinen, oder den von jemand anders.
    Aber was sie sagte, war nicht einmal Englisch. »Noch einen!« schrie sie. Sich windend, sich ins Bett mahlend. »Noch einen!«
    Sogar ich konnte es verstehen; dazu war ich genug in Kneipen gewesen. Es ist das, was man sagt, wenn man seinen Schnaps leergetrunken hat und noch einen will. »Noch einen!« ruft man, und der Kellner bringt einem noch einen.
    Entspannt lag Utsch da, sich mit einer Hand noch berührend und die andere an den Lippen. Sie kostete sich, wie ich wußte; sie schmeckte sich, hatte sie mir gesagt. In dieser Pose sah sie aus wie Kurt Winters Zeichnung von Katrina Marek.
    Uns Verfassern historischer Romane fallen häufig bedeutungslose Zufälle auf, aber ich fragte mich, ob ich Utsch überhaupt kannte - und ob es klug von uns vieren war, mehr über uns herausfinden zu wollen, als wir bereits wußten.
    Ich lag neben meiner Frau, die noch einen wollte. Für mich sah sie zufrieden aus.

7.
Karnevals Streit mit dem Fasten
    Dann nahm Severin Utsch eines Nachts mit in die Ringerhalle. Das ganze Dinner hindurch hatten wir alle bemerkt, daß er nicht so mürrisch war wie sonst - nicht so bissig, nicht so bewußt darauf aus, uns wegen seines großen, namenlosen Schmerzes Schuldgefühle einzuimpfen. Als er Utsch in den Mantel half, zwinkerte er Edith zu. Ich konnte sehen, daß sie überrascht war. Sie war es gewohnt, einen Märtyrerblick von ihm zu bekommen - dieser Saukerl, als ob er sagen

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