Eine Mittelgewichts-Ehe
würde er zu Edith sagen: »Die Einbildung von diesem Scheißkerl zu glauben, es wäre sein Buch gewesen. Als ob ein 54-Kilo-Roman überhaupt irgendwelche Male auf jemandem zurücklassen könnte, ganz zu schweigen von einem blauen Fleck.« Aber es war mein Buch; es muß mein Buch gewesen sein! Bestimmt hatten sie sich über mich gestritten, als es passierte, und was hätte er für ein besseres Symbol für seine Frustration finden können?)
Aber Severin tat, als sei ich Luft. Weder drehte er sich um, noch fiel er aus seiner bärenhaften Gangart. Nur Bender sah sich nach mir um, als dächte er, ich hätte vielleicht ihn gerufen. Sein maschinenhaftstetiger Blick war so leblos wie das Gebäude, das er betrat: Grau, Beton, Stahl und Glas - sein Inneres von chloriertem Wasser, desinfizierten Matten, von Kühlschlangen erzeugtem Eis, Salben und Pudern, die mit Fuß- und Unterleibspilzen kurzen Prozeß machten, und zahllosen, mit Luft vollgepumpten Springbällen. Das war Severin Winters Welt, und ich wußte, daß ich nicht dazugehörte.
Es war also aus. Severin zog sich in seine Ringerhalle zurück. Ich ging in die Bibliothek und wartete, bis ich dachte, Edith und Utsch hätten alles beredet, was sie bereden mußten. Aber es war schwer, sich vorzustellen, daß sie überhaupt miteinander redeten.
Als ich nach Hause kam, spielten die Kinder in der Küche, und Utsch kochte. Sie bereitete ein kompliziertes Essen zu, obwohl ich bezweifelte, daß ihr nach Feiern zumute war.
»Geht raus hier und sucht euch was zu tun«, sagte ich den Kindern. »Steht eurer Mutter nicht im Weg herum.« Aber Utsch sagte, sie wolle sie um sich haben; sie mochte das Gefühl, an einem belebten Ort zu sein. Ich schnitt Rettiche, und Jack las uns aus einer alten Ausgabe von »Europa für fünf Dollar pro Tag« vor. Er las alle Stellen darüber, was man in verschiedenen Städten mit Kindern anfangen konnte, dann erzählte er uns, welche Stadt er besuchen wollte. Bart aß Rettiche, so schnell ich sie aufschneiden konnte; manchmal spuckte er einen auf Jack.
Das ganze Dinner hindurch plapperte Utsch mit Jack, und Bart schob mir sein stehengelassenes Essen zu. Mir fiel ein, daß es lange her war, daß wir mit den Kindern gegessen hatten. Nach dem Dinner, während Jack versprach, Bart ein Bad zu richten, ohne ihm den Kopf unterzutauchen, sagte Utsch: »Wenn die Kinder ins Bett gehen, sterbe ich, glaub ich. Wir müssen sie bei uns behalten. Können wir nicht alle ins Kino gehen?«
Ich badete mit Bart und Jack; ihre kleinen Körper waren so glatt wie nasse Puppen. Hinterher war die erste Unterhose, die ich anzuziehen versuchte, die, die Severin mit einer Rasierklinge umgestaltet hatte. Als ich sie wegwarf, fragte ich mich, warum Utsch sie aufgehoben hatte. Mittlerweile planschte sie mit Bart und Jack in der Wanne; es schien, als würde sie überhaupt nicht mehr aufhören, mit ihnen zu reden. Die zweite Unterhose, die ich anprobierte, hatte ebenfalls einen durchgeschlitzten Zwickel, desgleichen die dritte und die vierte. Alle meine Unterhosen waren mit einem einzigen Schnitt entzwickelt.
Ich schlüpfte ohne Unterwäsche in meine alte Kordhose, und wir gingen ins Kino. Es war einer dieser Filme ohne Sex und voll schlichter Gewalt, in den man seine Kinder daher unbedenklich mitnehmen konnte. Jemand namens Robert ist eine Art Neuling in der Wildnis; er begegnet verschiedenen wilden Geschöpfen, weißen, indianischen und tierischen, die ihm alle beibringen, wie man überlebt. Der Film handelt vom Überleben, nehme ich an. Robert lernt, wie man aus abgehäuteten Eichhörnchen Fäustlinge macht; an den Füßen trägt er Kaninchen; den Kopf hält er mit einer indianischen Haartracht warm. Er begegnet vielen Leuten, die verrückt sind oder feige oder gerade eins von beiden werden; sie haben all die kleinen, unschönen Tricks von Mutter Natur nicht so gut gelernt wie Robert. Robert betritt die Wildnis blond, glattrasiert, jungenhaft und in Kleidern, die ihm passen. Heraus kommt er bärtig, runzlig und in Tierfelle gewickelt, in denen er so aussieht wie das Tier, dem die Felle wuchsen und das irgendwie in seiner eigenen Haut geschrumpft ist. Er lernt, keine Angst zu haben und nichts zu fühlen. Offensichtlich besteht ein Teil des Überlebens darin, über alles hinwegzukommen. Am Ende des Films hat Robert sich an die Wildnis gewöhnt und hat gelernt mit Dingen wie der Vergewaltigung, Verstümmelung und Ermordung seiner Frau und seiner Kinder umzugehen und darüber
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