Eine Mittelgewichts-Ehe
wenn wir versuchen, einander dazu zu bringen, einer Meinung zu sein. Man kann nicht erwarten, daß wir das, was geschehen ist, alle gleich sehen.«
»Es gibt wahrscheinlich fünf oder sechs Versionen«, sagte Edith, »oder acht oder neun.« Aber Severin konnte nicht still sein. »Nein«, sagte er. »Ich sehe es besser als jeder von euch, weil ich mich nie richtig darauf eingelassen habe.« Ich hätte ihn dafür umbringen können, daß er das in Utschs Gegenwart sagte. Er war wirklich ein Kind. »Falls ich ein Kind bin«, sagte er, »dann ist das für mich okay.«
»Für dich, ja!« sagte Edith schroff. »Immer geht es darum, was für dich okay ist - dich, dich, dich!«
Aber das war später. In dieser Nacht ließ sie ihn tatsächlich ein. Am nächsten Morgen kamen sie bei uns zu Hause vorbei, als alle Kinder in der Schule waren. Edith sah mich nicht an; sie hielt Utschs Hand und lächelte ihr zu. Als ich sah, daß Edith einen blauen Fleck im Gesicht hatte, packte ich Severin am Handgelenk und sagte: »Wenn du gestern abend stinksauer warst, hättest du vor dem Gehen mich schlagen können. Ich kann's zwar auch nicht mit dir aufnehmen, aber ich hätte dir mehr Widerstand leisten können als Edith.« Er sah mich an, als ob er das bezweifelte. Ein pflaumenfarbenes Mal spannte Ediths Haut über einer Wange straff und zog ihr ein Auge halb zu; ihr blauer Fleck hatte die Größe eines guten Romans.
»Es war ein Unfall«, sagte Edith. »Wir haben gestritten, aber ich habe bloß versucht, von ihm loszukommen. Ich habe mich losgewunden und bin irgendwo dagegengerannt.«
»Eine Wand«, murmelte Severin.
»Kaffee?« fragte Utsch alle.
»Ich will nicht lange bleiben«, sagte Edith zu Severin, aber sie setzte sich an den Küchentisch. »Wir wollen Schluß machen«, sagte sie zur Zuckerdose. »Na ja, ich will Schluß machen«, sagte Severin. »Es ist nicht gut für Edith und mich.« Utsch und ich sagten nichts. »Es tut mir leid«, sagte Severin, »aber es funktioniert einfach nicht. Ich habe euch gesagt, daß ich mich - na ja, unter Druck gefühlt habe, damit weiterzumachen. Es war kein Druck, den Edith oder einer von euch auf mich ausgeübt hat; es ist alles von mir ausgegangen. Ich habe mich einfach gezwungen gefühlt, etwas zum Klappen zu bringen, bei dem ich mich nie ganz wohl gefühlt habe. Ich hatte das Gefühl, ich bin es Edith schuldig. Aber sie hat mir dieses Gefühl wirklich nicht gegeben.«
»Doch, das hat sie«, sagte Utsch. Ich war überrascht. Edith saß mit zusammengepreßten Lippen da.
»Nein, das hat sie wirklich nicht«, sagte Severin ruhig. »Das war bloß ich. Ich dachte, es würde mir mit der Zeit selbstverständlicher vorkommen, aber so war es nicht. Ich dachte, daß zwischen mir und Edith alles besser werden würde, aber das wurde es nicht.«
»Was alles?« fragte ich. »Was hat nicht gestimmt, bevor das angefangen hat?«
»Diese ganze Geschichte hat zwischen uns alles schlimmer gemacht«, sagte Severin. Edith sagte immer noch nichts. »Sie hat dazu geführt, daß ich mich mit Edith unwohl gefühlt habe - sie hat dazu geführt, daß ich mich wegen ihr unwohl gefühlt habe. Ich bin so weit gekommen, daß ich geglaubt habe, ich verhalte mich nur dann anständig, wenn ich mit Utsch zusammen bin. Ich habe mich Edith gegenüber nicht sehr anständig verhalten, und ich mag mich nicht so verhalten, wie ich es getan habe. Es ist mir sehr peinlich.«
»Du hast an nichts Schuld«, sagte Utsch ihm. »Niemand hat an etwas Schuld.«
»Ich habe Edith immerhin geschlagen«, sagte Severin, »und das habe ich noch nie getan. Ich fühle mich schrecklich deswegen. Ehe diese ganze Sache anfing, hätte ich nie so die Kontrolle über mich verloren.«
»Daran habe auch ich Schuld«, sagte Edith. »Er mußte mich schlagen.«
»Aber ich hätte es nicht tun sollen.«
»Vielleicht doch«, sagte Utsch. Was, zum Teufel, redete sie denn da!
»Jedenfalls«, sagte Severin, »ist es aus. Es ist das beste.«
»Einfach so?« sagte ich.
»Ja, einfach so«, sagte Edith und sah mich dabei direkt an. »Es ist wirklich das beste.«
»Kann ich allein mit Edith reden?« fragte ich Severin.
»Frag Edith.«
»Später«, sagte mir Edith. Und wieder hatte ich das Gefühl, daß wir tatsächlich um so weniger voneinander wußten, je besser wir einander kannten. »Ich will jetzt mit Utsch reden«, sagte Edith.
»Ja, geht raus«, sagte Utsch zu uns. »Setzt euch draußen hin, geht einmal um den Block.«
»Geht ins Kino«, schlug Edith
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