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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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passiert?« sagte Utsch; ihr Gesicht war verängstigt, verletzt, anklagend. »Du hast dich nicht um mich gekümmert!« schrie sie. »Du hast nicht einmal an mich gedacht!«
    Ich fragte mich, ob Edith und Severin sich heute nacht anschrien.
    »Sogar jetzt denkst du an sie«, sagte Utsch. (Die arme, gefährliche Frau in dem Holzschuppen mit ihren um sich verstreuten, ermordeten Kindern hatte Robert angegrinst und ihm gesagt: »Gut, daß ich so schlau bin. Ich habe gewußt, wo genau ich die Kinder verstecken muß, damit niemand ihnen etwas tut.«) Utsch grinste mich mit beunruhigendem Gesichtsausdruck an und riß mir die zerschlitzte Unterhose aus der Hand. »Das war ich«, sagte sie und setzte sie sich wie einen Hut auf den Kopf.
    »Ich weiß, daß du es warst«, sagte ich; ich versuchte, tröstlich zu sein, aber sie schüttelte weiter den Kopf über mich, als ob ich nichts verstünde. Da verstand ich, daß sie auch die erste Unterhose kaputtgemacht hatte - die, von der ich glaubte, daß Severin sie aufgeschlitzt hatte. Sie sah die Veränderung in meinem Gesicht und nickte heftig. »Ja, ja«, sagte sie heiter. »Das stimmt, das war ich!« Sie schien entzückt von dieser Enthüllung, bis sie wieder zu weinen anfing. »Ich liebe ihn«, schluchzte sie. »Siehst du nicht, wie fürchterlich wir in der Patsche sitzen?«
    »Es wird alles gut«, sagte ich. Sie lachte eine Weile, dann weinte sie sich in den Schlaf.
    Dann hatte Jack einen Alptraum und wachte wimmernd auf. Er erinnerte sich an einen schmutzigen Trick aus dem Film. Ein Haufen übler alter Wilder schwelgen in Erinnerungen über das Gemeinste, was sie je gesehen haben, und einer von ihnen erzählt, daß er einmal gesehen habe, wie jemandem der Bauch bloß ein kleines bißchen aufgeschlitzt wurde - genug, um die Eingeweide ein Stück weit herauszuziehen und mit diesem Gedärm vor einem Hund herumzuwedeln, der versuchte, es am Stück herunterzuschlingen, und dann damit wegrannte und dabei die Innereien dieses Menschen auf widerliche Weise aufräufelte. Aber ich sagte meinem zarten Jungen, daß die Welt überhaupt nicht so sei. Er würde diesen Alptraum nie wieder haben, sagte ich. »Es wird alles gut«, sagte ich. Ah, die Lügen, mit denen wir einschlafen.
    Bart verschlief Jacks Traum wie eine Schildkröte in ihrem Panzer. Auch Utsch schlief. Ich wartete darauf, daß Jack wieder einschlief; ich wartete, bis ich wußte, daß auch Severin schlief. Ich war hellwach, und ich war mir sicher, daß auch Edith das war. Ich rauchte in meinem stillen Haus herum; ich sah vor mir, wie Edith sich von Zimmer zu Zimmer rauchte. Ich mußte mit ihr sprechen, ihre Stimme hören. Als ich glaubte, lange genug gewartet zu haben, probierte ich unser Signal, das Telefon einen halben Ton lang läuten zu lassen, dann aufzulegen. Ich wartete. Ich sah vor mir, wie sie zum Telefon ging, sich eine frische Zigarette anzündete; sie würde sich eine lange Haarsträhne hinterm Ohr aufringeln. Ich spürte, wie ihre Hand auf dem Hörer lag, auf meinen zweiten Anruf wartete. Ihr Handgelenk war so dünn, so eckig. Ich wählte noch einmal. Wie üblich läutete das Telefon nicht einmal einen Ton lang, ehe der Hörer hochgerissen wurde.
    »Edith schläft«, sagte Severin Winter.

9.
Das Zweitplazierten-Syndrom
    Als es aus war und bevor wir das restlos begriffen hatten, waren die Gefühle im Supermarkt empfindlich, in Parklücken distanziert, peinlich, wann immer wir vier einander begegneten. Denn natürlich standen solche Begegnungen nicht in Zusammenhang mit dem, was wir einmal gemeinsam gewesen waren. Und die Kinder wollten immer noch miteinander spielen. Wir schafften es gerade eine Woche lang ohne Begegnungen; als wir uns dann trafen, machte der Schock darüber, wie sehr wir uns auseinandergelebt hatten, den Vorfall noch verstörender.
    In einem kurzen Gespräch mit Edith - absurderweise standen wir vor verschiedenen Kassenschaltern an - sagte ich: »Utsch und ich hoffen, daß wir euch bald wieder sehen können. Ich weiß, daß es zunächst schwierig sein wird.«
    »Für mich nicht«, sagte sie heiter.
    »Ach so.«
    »Vergiß es«, sagte Edith. »Das tu ich auch.«
    Aber sie meinte es nicht ernst. Sie isolierte sich eindeutig von ihren wirklichen Gefühlen für mich; zweifellos mußte sie das wegen Severins unaufhörlicher Sticheleien.
    Utschs Schweigen fraß sich in mich wie eine Wunde. Sie sagte, daß Severin ihr nicht in die Augen schauen wollte, wenn sie ihm über den Weg lief. »Er widert mich

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