Eine Nacht ist nicht genug
schier unwiderstehlich.
Als die ersten Takte der Ouvertüre erklangen, ließ Kate sich auf den Platz neben ihr plumpsen.
„Super, du hast Wasser“, stellte sie fest und trank die Flasche halb leer.
Emily presste sich gedankenverloren den Finger dort auf den Mund, wo der Fremde sie berührt hatte. Das bedeutendste Ereignis des Abends schien bereits hinter ihr zu liegen.
Doch die Arena di Verona sollte sie nicht enttäuschen. Als über zwei Stunden später tosender Applaus das Amphitheater erfüllte, war Emily ganz überwältigt. Ja, es hatte sich gelohnt, den weiten Weg hierher zu kommen. Die Aufführung, die Musik, die Atmosphäre – alles war so wunderschön gewesen, wie sie es sich ausgemalt hatte. Zumindest fast alles. Denn aus irgendeinem Grund hatte die flüchtige Begegnung mit dem attraktiven Fremden dazu geführt, dass Emily etwas vermisste: Berührungen, genüssliches Vergnügen, ein Gefühl dafür, dass sie als Frau begehrenswert war. Sie war bisher immer zu beschäftigt gewesen, um eine Beziehung zu führen, und der eine Versuch, den sie gestartet hatte, war den Aufwand wirklich nicht wert gewesen. Doch plötzlich, nach dieser einen leichten Berührung, hatte sich die Tür zu ihrem sinnlichen Selbst weit geöffnet. Am liebsten wäre sie sofort hindurchgegangen.
Stattdessen ging sie mit Kate durch die Menge der fröhlichen, gut gelaunten Menschen, die aus dem Amphitheater auf die Piazza drängten. Emily wünschte, der Abend würde ewig dauern. Sie blieb stehen, noch ganz erfüllt von den wunderschönen Klängen, vor allem aber von der Erinnerung daran, wie der charmante Fremde ihr über den Mund gestrichen hatte …
„Findest du nicht auch, dass der Sopran beim letzten Duett ein bisschen danebenlag?“, riss Kate sie aus ihrer Träumerei. Sicher würde diese nun die Aufführung Ton für Ton sezieren.
Doch so genau hatte Emily während des Duetts nicht hingehört. Ihr Blick war unwillkürlich immer wieder zu einem bestimmten der teuren Sitzplätze geglitten, wo ein schwarzer Schopf alle anderen Gäste überragt hatte. Die Musik war eher zu einer Art Hintergrundmusik einer Träumerei geworden, der sie sich normalerweise nicht hingab.
„Ähm, welchen Teil meinst du?“, fragte sie, während ihr beim Gedanken an die zufällige Begegnung warm wurde und sie lächeln musste.
Ihr Lächeln verschwand jedoch, als ihre Schwester ungehemmt und in voller Lautstärke den Refrain des größten „Hits“ des Abends anstimmte.
„Kate!“, flüsterte Emily zutiefst verlegen, doch ihre Schwester lächelte nur frech und sang weiter. Als sich die Menschen um sie zu scharen begannen, wäre Emily am liebsten im Boden versunken. Diese Art Aufmerksamkeit war ihr äußerst unangenehm. Doch dann fiel ihr plötzlich eine Gruppe elegant gekleideter Männer ins Auge. In ihrer Mitte stand ein dunkelhaariger Mann, der die anderen um einen halben Kopf überragte. Und natürlich war eine Frau bei ihm: eine stilbewusste Italienerin, die offenbar sehr an ihm interessiert war.
Eine Geliebte, mit der er sich zusammen die Oper angehört hat?, dachte Emily unwillkürlich und wurde von dem Gefühl eines schweren Verlusts erfüllt. Sie hatten zwar nur wenige Worte gewechselt, doch es war ihr vorgekommen, als hätten sich unendlich viele Möglichkeiten eröffnet. Doch mit der Frau an seiner Seite konnte sie es natürlich nicht aufnehmen.
Sobald Kate das erste Mal Luft holte, nutzte Emily die Gelegenheit, sie mit sich zu ziehen. „Reicht das jetzt?“
„Nein“, entgegnete Kate und lächelte allen Menschen zu, die sie ansahen. „Mir kam gerade eine Superidee.“
Die wollte Emily sich aber nicht mehr anhören, sie wollte einfach nur weg. Vorher jedoch musste sie sich noch einmal umsehen. Als sie einen Blick über ihre Schulter warf, stellte sie fest, dass der charmante Fremde sie lächelnd ansah und ihr zuzwinkerte. Emily erwiderte sein Lächeln nicht, sah ihn jedoch weiterhin unverwandt an, um sich ein letztes Mal seinen Anblick einzuprägen.
Hinter der nächsten Ecke blieb Kate stehen und sagte energisch: „Ich werde mich nicht die nächsten zwei Tage lang von Brot ernähren. Wir sind schließlich in Italien! Ich will Pasta und Pizza, und ich will in einem Restaurant essen!“
„Kate.“ Emily war mit ihrer Geduld fast am Ende. Begriff ihre Schwester nicht, dass sie sich das einfach nicht leisten konnten?
„Ich werde uns mit Singen auf der Straße ein bisschen Geld verdienen“, verkündete Kate.
„Bitte nicht,
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