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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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halten?«
    Der Irgun-Vizechef erschauerte bei diesen Worten. Seine Liebe zu Sonia hatte ihn getäuscht: Nicht Belustigung hatte er in den Augen des Irgun-Chefs gesehen, sondern Wut über die Verletzung seiner Ehre. Der Irgun-Vizechef gehörte zwar nicht zu den Schreckhaften, wollte es sich aber auch nicht gern mit dem Mann verderben, der schließlich sein Vorgesetzter war. Während er noch eine Antwort suchte, die seine Liebe zu Sonia und seine Liebe zu seinem Arbeitsplatz in Einklang bringen könnte, schäumte der Irgun-Chef weiter: »Er sperrt sie doch wahrlich ins Büro ein, zwingt sie, Papiere abzuheften und Schriftsätze anzufertigen, versteckt einen Brillanten in einem Haufen staubiger Aktenordner.«
    Der Irgun-Vizechef sah den Irgun-Chef verwirrt an, aber der wandte sich schon von ihm ab und Sonia zu: »Wie heißen Sie?«
    »Sonia.«
    »Sonia was? Ich kann die doch nicht anweisen, nur ›Sonia‹ aufs Papier zu schreiben.«
    »Sonia Feinberg. Von welchem Papier sprechen Sie denn?«
    »Von Ihrem Briefpapier. Sonia Feinberg – Irgun-Beauftragte für die Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt.«
    Neben Briefpapier bekam Sonia auch ein Büro, eine Sekretärin und Gratisabonnements für Tageszeitungen. Das Büro stand meistens leer, die Sekretärin ward dort kaum je gesehen, und die Zeitungen blieben verwaist auf der Türschwelle liegen. Sonia verbrachte ihre Zeit auf den Straßen und Märkten, sprach mit Frauen und Mädchen, interviewte alte und junge. Wo sie aus Zeitgründen nicht selbst sein konnte, schickte sie ihre Sekretärin hin, um aufzuschreiben, was die Frauen tun konnten, was sie zu tun träumten und was sie tatsächlich taten. Sie las die einlaufenden Berichte bis in die Nacht hinein und versah sie mit Anmerkungen in ihrer runden Handschrift, so vehement, dass häufig das Papier einriss.
    Abends holte sie den Irgun-Vizechef von seinem Büro ab, und sie spazierten zusammen durch die Straßen. Sonia unterbreitete ihm ihre Pläne, und der Irgun-Vizechef lauschte aufmerksam, obwohl er manchmal dachte, selbst wenn er in einen tiefen Kanalisationsschacht stolpern sollte, würde Sonia weitergehen und referieren, ohne es zu merken. Ihre grauen Augen sahen in die Ferne, wo Sonia, jenseits der qualmenden Busse und wirren Stromdrähte, eine von Gleichheit und Gerechtigkeit geprägte israelische Gesellschaft erblickte. Sie sagte das ohne jeden Anflug von Zynismus, obwohl sie alles andere durchaus zynisch betrachtete: Sitzungen hielt sie für Cracker-Vertilgungspartys, Denkschriften wollte sie keine verfassen, da sie nichts seien als »ein Techtelmechtel mit einem Haufen Papier statt mit der Realität«. Überlange Beratungen mit Höhergestellten veranlassten ihre Füße, unterm Tisch zu tanzen, und das Klacken der Absätze war deutlich zu vernehmen. Und doch wagte keiner, ihr Vorhaltungen zu machen. Untergebene hüteten sich vor ihrer scharfen Zunge. Höherrangige machten bei ihr eine schwer greifbare Qualität aus, die man selten so deutlich vorfand.
    Nach zwei Monaten war Sonias Name schon in aller Munde, aber nur der Irgun-Vizechef murmelte ihn im Schlaf. Dieser Name, der für andere jetzt kompromisslose Entschlossenheit bedeutete, war für ihn eine Decke, in die er sich wickeln konnte. Denn im Unterschied zu den Massen, die Sonia von ihren Reden auf öffentlichen Plätzen und ihrer scharfen Zunge in Sitzungen kannten, kannte er auch ihr Stöhnen beim Liebesspiel. Kannte ihr wohliges, schallendes Lachen. Die schnurrende Löwin. Und obwohl es über drei Jahre her war, dass er sie zum letzten Mal in den Armen gehalten hatte, hätte er, auf Wunsch, jeden Augenblick jener Nacht aus dem Gedächtnis abrufen können.
    Manchmal, wenn sie abends spazieren gingen, spürte Sonia den Blick des Irgun-Vizechefs auf ihrem Körper. Dann trieben ihre Füße sie vorwärts, und ihre Wangen wurden rot. Es war keine Verlegenheit – ein törichtes Gefühl, dem Frauen sich oft unnötig hingaben –, sondern aufwallende Leidenschaft, die sie vor Efraim verbergen wollte. Wenn der Blick des Irgun-Vizechefs auf ihr ruhte, so begehrlich, dass er schier Fingerabdrücke auf ihrem Leib hinterließ, erschauerte Sonia vor Lust. Es war zu lange her, dass ein Mann sie so angeschaut hatte. Erst war Jair zur Welt gekommen, und ihre Nächte hatten zwischen seinem störenden Weinen und ihrem unruhigen Schlaf gependelt. Dann war Seev Feinberg in den Krieg gezogen, und sie hatte ihre Nächte einsam verbracht. Danach war Seev Feinberg aus dem

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