Eine Nacht, Markowitz
Krieg heimgekehrt, und obwohl er ihr Bett teilte, war ihre Einsamkeit nur noch schlimmer geworden. Jetzt war er als Schatten seiner selbst nach Europa gefahren, und gebe Gott, dass er als normaler Mensch zurückkommen würde. Diese ganze Zeit über war Sonias Körper in ständiger Einsamkeit befangen gewesen, hatte fast schon vergessen, nicht nur zum Schlafen und Essen und Schlafen zu taugen, nicht nur zu Plänen und Revolutionen und Reden, sondern auch zum Liebesakt. Der Blick des Irgun-Vizechefs nun brachte dem Körper das in Erinnerung, was die Plackerei und die Enttäuschung und die Sehnsucht ihn hatten vergessen lassen.
Obwohl sie einen Gang zulegte, erkannte der Irgun-Vizechef, ein außerordentlich geübter Beobachter, die jähe Röte auf Sonias Wangen. Tausend Honigsauger schlugen die Flügel in seinem Leib. Aber gleich hatte er sich wieder unter Kontrolle: Wenn Sonia merkte, dass er ihre Lust erwachen sah, würde sie gewiss auf Abstand gehen. Und auch er, der diesen Augenblick so lange herbeigesehnt hatte, wusste nicht, was die Erfüllung seiner Wünsche in ihm auslösen würde. Deshalb gingen der Irgun-Vizechef und Sonia unverwandt den Boulevard entlang, den die Fikusbäume gegen den Mondschein abschirmten, und Seev Feinbergs Anwesenheit schwebte über den beiden wie die Fledermäuse, die jäh aus den Fikuswipfeln schossen, die Nacht mit blindem Kreischen zerrissen und wieder verschwanden.
Eines Abends, als sie den Boulevard entlangschlenderten, sah Sonia zwei junge Mädchen sich nach dem Irgun-Vizechef umdrehen. Häufig schon hatte sie festgestellt, wie Frauen ihr Verhalten änderten, wenn sie ihm begegneten. Die Heldengeschichten, die sich um den Irgun-Vizechef rankten, umschwebten ihn wie Flötenklänge, auch wenn er schwieg, und die Menschen folgten diesen Flötenklängen wie verzaubert. Dass der Irgun-Vizechef seine Ausstrahlung überhaupt nicht beachtete, verstärkte sie nur noch. Sonia blickte von den lächelnden Mädchen zu dem Irgun-Vizechef. Unter der Straßenlaterne erkannte sie erste Silberfäden in seinem Haar.
»Sag mal, Efraim, warum heiratest du nicht?«
Anders als sonst wandte der Irgun-Vizechef ihr nicht gleich die Augen zu. Fast eine Minute gingen sie weiter den Boulevard entlang, Sonias Augen auf den Irgun-Vizechef, seine zu Boden gerichtet, ehe er stehen blieb und sie ansah.
»Und warum sollte ich heiraten?«
Unter seinem Blick bemerkte Sonia überrascht, dass sie zitterte. »Möchtest du denn keine Frau? Und ein Kind?«
Einen langen Moment sah der Irgun-Vizechef Sonia an. »Ich habe eine Frau. Und ein Kind.«
Mit einem Schlag, ohne zu wissen, was sie tat, brach Sonia in Tränen aus. Der Irgun-Vizechef erstarrte. Noch nie hatte er sie weinen gesehen. Manchmal hatte er gedacht, diese Augen, die einen Millimeter weiter auseinanderstanden, als es dem gängigen Schönheitsideal entsprach, seien gar nicht mit Tränensäcken ausgerüstet. Und nun stand sie vor ihm, und das salzige Nass rann ihr über die schönen, geliebten Wangen.
»Hast du es gewusst?«
»Ich habs erraten.«
»Und hast nichts gesagt?«
»Was soll man da sagen?«
Jetzt weinte Sonia so laut, dass ein paar Anwohner den Kopf aus dem Fenster steckten. Wie sie sich im Ärger ihrer Wut und bei der Liebe ihrer Lust hingab, so weinte sie jetzt auch hingebungsvoll. So hingebungsvoll, dass jemand vom Balkon aus schrie: »Ruft die Polizei!« Der Irgun-Vizechef führte Sonia rasch vom Boulevard weg. Als sie durch das Gewirr der Gassen und Sträßchen gingen, merkte er plötzlich, dass er seit geraumer Zeit nicht mehr die Führung innehatte. Unter Tränen bestimmte Sonia den Weg, und da standen sie auch schon vor ihrer Wohnungstür. Als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, sah der Irgun-Vizechef ihre Hand zittern. Das war in Ordnung. Er zitterte ja auch. Im Innern hing ein zarter, süßer Duft. Ein ganzer Zitrushain inmitten der Einzimmerwohnung. Mit strauchelnden Füßen machte er einen Satz über einen monströsen Zeitungsstapel – und dann war er drinnen.
»Setz dich. Ich hol Bilder.«
Aber ehe sie sich entfernen konnte, ergriff er ihre Hand. »Es hat keinen Sinn, Sonia. Wenn du nicht bereit bist, mir das Gesicht des Kindes zu zeigen – was habe ich dann von Bildern? Und wenn du bereit bist, wenn du einwilligst, den Jungen herzubringen, mich sein Gesicht sehen, seinen Kopf streicheln zu lassen – dann brauche ich auch keine Bilder.« Als er ausgeredet hatte, behielt er ihre Hand in seiner. Einen langen Moment hielt
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