Eine Nacht, Markowitz
er sie fest. Vermutlich hätte der Moment sogar noch länger gedauert, vermutlich hätte er auch ihre andere Hand ergriffen, und mehr als das, wenn es nicht an der Tür geklopft hätte.
Es war die Sekretärin mit einem Stapel Schriftstücken. Am Morgen habe Sonia ihr ja aufgetragen, sie herzubringen, sobald sie die energische Handschrift in amtliche Schreibmaschinenseiten übertragen hätte. Und da seien sie nun. Viele Stunden habe sie dafür gebraucht und doch alles noch am selben Tag geschafft. Die Ideen der Frauenbeauftragten seien wirklich inspirierend, und wenn Inspiration da sei, dann flögen die Finger auch schneller über die Tasten. Vorher nämlich habe sie bei einem ziemlich berühmten Anwalt gearbeitet. Erbsachen und Hinterlassenschaften und hin und wieder ein Immobiliengeschäft. Wie langsam sie damals getippt habe, kaum zu glauben. Guten Abend auch dem Herrn Irgun-Vizechef. Und gute Nacht.
Die Sekretärin verließ die Wohnung, und Sonia lachte los. Sie sei ein gutes Mädchen, sagte sie, wenn auch manchmal etwas ermüdend. Und sie habe tolle Beine. Der Irgun-Vizechef nickte zerstreut, er hatte die Beine der Sekretärin kaum beachtet. »Solltest du aber«, sagte Sonia. »Ehe sie als Sekretärin angefangen hat, war sie Strumpfmannequin. Vor dem Eintreffen der Einwanderinnen aus Deutschland galten ihre Beine als die längsten in Tel Aviv. Das war nachgemessen.«
»Wenn ich mir Beine angucken würde, dann nur deine.«
Sonia klopfte sich auf die Beine und schnaubte abfällig. »Zwei Stempel, Efraim, von einem Mann mit Augenmaß wie dir hätte ich mehr erwartet.« Sie wollte noch etwas sagen, verstummte aber abrupt. Der Blick des Irgun-Vizechefs ruhte auf ihren Beinen, und sie spürte ihre Wangen erröten. Nun waren ihre Beine keine Glieder zum Stehen und Gehen mehr. Jetzt waren sie ein Objekt starken Begehrens. Und angesichts dieses Begehrens erwachte auch ihres. Feinberg war ja schon so lange weg. Und obwohl sie sich genau an seinen Geruch erinnerte, an das Gewicht seines Körpers, wenn er sich auf sie legte, an sein süßes Brummen, wenn er sie nahm, so war sie doch bereit, all das gegen einen Körper von anderem Gewicht und anderem Geruch und anderen Lustlauten zu tauschen, solange er nur da war nach all der einsam verbrachten Zeit. Sonia streckte dem Irgun-Vizechef die Hand hin und sagte: »Komm.«
Die Laken rochen leicht nach Seife. Die Decke war etwas zu schwer. Zwischen Laken und Decke lagen Sonia und der Irgun-Vizechef nackt umschlungen. Lange lagen sie so. Zu schuldbewusst, um weiterzumachen. Zu erregt, um aufzuhören. Obwohl ihre Körper sich so aneinanderpressten, dass keine Stecknadel mehr dazwischengepasst hätte, trennte sie doch der Name Seev Feinberg, der zwar nicht laut ausgesprochen wurde, aber trotzdem bei jedem Atemzug durchs Zimmer hallte. Deshalb verharrten sie so, in jenem Zwischenbereich, der nicht Untreue und nicht Unschuld ist, umschlungen und reglos. Der Irgun-Vizechef ließ sich alles durch den Kopf gehen, was er mit ihr, Sonia, gern anstellen würde, wenn er sich nur zu regen getraute. Sonia dachte an all die Dinge, die sie mit dem Körper des Irgun-Vizechefs gern tun würde, wenn ihre Seele sie nur ließe. Stundenlang sann sie über ihre und er über seine Träume nach, und angesichts der langen Parade von Gedanken und Bildern sah der körperliche Geschlechtsakt schließlich kurz und dürftig und ein wenig langweilig aus. So brach denn der Morgen an und fand Sonia und den Irgun-Vizechef erschöpft vor lauter Verlangen, aber bar jeder Erfüllung.
Am Freitag machten sich der Irgun-Vizechef und Sonia auf den Weg zur Moschawa. Die Fahrt verlief schweigend. Sonia dachte an das Gesicht ihres Sohnes und der Irgun-Vizechef dachte an das Gesicht seines Sohnes. Sonia hatte ein klares Bild vor Augen, der Irgun-Vizechef eine formlose Wolke mit Fragmenten eines Gesichts. Als sie an Lea Rons Hof ankamen, sah der Irgun-Vizechef einen kleinen Jungen an einem Granatapfelbaum stehen. Das Herz ging ihm über. Obwohl noch Babyspeck die Gesichtszüge des Kindes weichzeichnete, ähnelte die Kinnpartie doch unverkennbar seiner eigenen. Die Wangen, so rund und sommersprossig wie die der Mutter, ließen das Herz jedes Betrachters schmelzen. Schon wollte er aus dem Auto springen, als Sonia sagte, der Junge am Granatapfelbaum heiße Jotam und sei der Sohn von Rachel und Abraham Mandelbaum, sie habe sich umgebracht und er dann vor lauter Trauer den Verstand verloren.
Als sie noch redete, kam ein
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