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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Nacht wach in seinem Bett.
    5 . Der erste Abend, an dem Sonia und der Irgun-Vizechef einander auf der Straße begegneten, ohne sich zu grüßen und ohne deswegen Schmerz zu empfinden. Sonia setzte ihren Weg fort, aß mit einer Freundin Kuchen im Café und dachte erst dann an den Irgun-Vizechef, als die Freundin kurz auf die Toilette ging. Der Irgun-Vizechef setzte ebenfalls seinen Weg fort, aß einen Auflauf bei einer Freundin und dachte erst dann an Sonia, als die Freundin einschlief, den Kopf auf seinem Arm.
    6 . Ein paar außergewöhnliche Sonnenuntergänge. Ein Gewitter. Jakob Markowitz’ Geburtstage, die in glänzender Einsamkeit gefeiert wurden. Eine beschwipste Nacht, die Seev Feinberg an Lea Rons Busen verbrachte, als Sonia in Tel Aviv und Jeschajahu Ron in Tiberias war. Der Abend, an dem Seev Feinberg sich dazu durchringen wollte, Jakob Markowitz von der Nacht an Lea Rons Busen zu erzählen, und es nicht schaffte. Milchzähne, die in Jakob Markowitz’ und in Seev Feinbergs Haus auf den Boden fielen. Das immer kräftigere Trappeln der Kinder und der immer schwächere Schritt der Erwachsenen.

Nachher

1
    S chon von zartem Alter an roch Jair Feinbergs Haut nach Pfirsich. Man brauchte kein großer Biologe zu sein, um zu begreifen, dass der Geruch des Kindes nur eine genetische Variation des mütterlichen Orangendufts war, ebenso wie seine blauen Augen nichts anderes waren als eine Kreuzung aus dem Grau von Sonias Augen und dem Tiefseeblau der Augen des Irgun-Vizechefs. Aber anders als die Augenfarbe, die schon bei der Geburt oder kurz danach erkennbar gewesen war, trat der Pfirsichgeruch nicht gleich auf. Zuerst wehte der Duft so zart, dass er kaum zu spüren war, aber ein Lächeln auf die Gesichter zauberte. Die Menschen sahen den Jungen an und lächelten, ohne zu wissen, wieso und warum. Als er ein wenig älter wurde, verstärkte sich der Duft, und seine Gesprächspartner ließen den Blick hin und her schweifen, suchten die Frucht, die sich gewiss in der Nähe befand. Als Jair Feinberg ins Schulalter kam, wussten schon alle Dorfbewohner, dass der Pfirsichhain in den Poren des Kindes steckte und man daher keine Früchte auf dem Erdboden zu suchen brauchte. Alle liebten den Jungen. Vor allem in den Jahreszeiten, in denen es keine Pfirsiche gab. Mit seinem lieblichen Duft und den rosigen Wangen wirkte Jair Feinberg immer so unschuldig wie ein Engel. Und da er kein Engel, sondern ein Bengel war, wusste er sein Äußeres für Streiche und Späße auszunutzen.
    Wo Jair Feinberg hinging, da war auch Zwi Markowitz. Sie hingen so aneinander, dass die Dorfbewohner sie als »siamesische Zwillinge« bezeichneten, obwohl sie sich kein bisschen ähnlich sahen. Jair war hübsch, der perfekte Kandidat für ein Plakat über die Geschichte der Moschawa oder eine Reklame für Kinderpuder. Zwi Markowitz wiederum war zwar der Sohn der schönsten Frau im Dorf, entkam aber nicht der Unscheinbarkeit. Sie verunstaltete seine Gesichtszüge und machte ihn furchtbar gewöhnlich. Manchmal fürchtete Bella, die Züge ihres Sohnes ähnelten weit mehr Jakob Markowitz als dem Dichter, seinem Vater. Solche Dinge können zwar eigentlich nicht angehen, sind aber sehr häufig.
    Während sein Duft und sein süßes Kindergesicht Jair Feinberg vor allem Übel bewahrten, klebten die Verdächtigungen der Lehrer an Zwi Markowitz’ Gesichtszügen wie Finger an einer Honigwabe. Nachdem ein Unbekannter Schechters Ziegenbock ins leere Klassenzimmer eingesperrt hatte, wurde Zwi Markowitz ins Kreuzverhör genommen – Jair Feinberg wartete draußen auf dem Feld auf ihn. Und als jemand die Türschwelle der Lehrerin mit Pflaumenmus beschmiert hatte, war es Zwi Markowitz, der die süße Pampe von den Stufen scheuerte, das Donnerwetter noch in den Ohren, während Jair Feinberg ihm von Weitem zuwinkte. Eines Tages kam Jair Feinberg von seiner Mutter aus Tel Aviv zurück und fand seinen Freund nicht im Klassenzimmer. Er fragte die Lehrerin nach Zwis Verbleiben, und sie antwortete, diesmal sei er entschieden zu weit gegangen. Ein ganzes Fass Sahne sei aus Strengers Molkerei verschwunden, und so etwas könne man wirklich nicht stillschweigend übergehen. Jairs rosige Wangen wurden noch eine Spur röter, als er erwiderte: »Aber was sollte einer denn mit einem ganzen Fass Sahne anfangen? Sie wird doch ohnehin bald sauer.« Die Lehrerin wiegte den Kopf und entgegnete: »Ein teuflisches Gehirn hat er, dieser Markowitz. Nach ein paar Schlägen von Strenger hat er

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