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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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war sie selbst Mutter. Und sie liebte Jair mehr. Diese Erkenntnis brachte sie nie über die Lippen. Ließ sie sich noch nicht einmal durch den Kopf gehen, aus Angst, man könnte es hören. Trotzdem wussten es alle. Wusste es Naama. Wusste es Seev Feinberg. Auch Jair wusste es.

2
    A m Vorabend des Wochenfestes, mit vierzehn Jahren, fand Zwi Markowitz heraus, dass Jakob Markowitz nicht sein Vater war. Er ging hinter einem der Getreidewagen, die sich auf der Hauptstraße des Dorfes drängten. In der Hand hielt er einen großen Korb mit Erdbeeren, den sein Vater und er nur durch ein Wunder vollgekriegt hatten. Jakob Markowitz glaubte als einziger unter den Bauern der Moschawa, dass die Erde der Gegend sich durchaus für den Erdbeeranbau eignete. Man hatte ihm gesagt, er würde keine Früchte ernten, schon gar nicht in ausreichender Menge. Selbst wenn die Menge ausreichen sollte, wären die Beeren sicher nicht süß genug. Unsere Erde ist zu hart, um so süße Sachen anzubauen, hieß es. Orangen ja. Pfirsiche ja. Aber die müssen sich ordentlich plagen, wachsen an einem harten, hohen Stamm. Erdbeeren jedoch haben weder Ast noch Stamm. Nur pralle, rote Süße, wenige Zentimeter über dem Boden. Um Erdbeeren hervorzubringen, muss die Erde vernarrt in ihren Besitzer sein, zum Flirten aufgelegt. Wie in Amerika. In Kalifornien wachsen die Erdbeeren massenweise, ist ja auch kein Wunder. Alles wächst dort massenweise. Eine Orgie an Früchten und Bodenschätzen und Banknoten. Unsere Erde hingegen ist nicht so liebestoll. Der Mensch muss schwer schuften, um ihr ein wenig Süße abzuringen.
    Jakob Markowitz hörte ernsthaft zu und machte sich dann daran, das nördliche Grundstück in ganzer Länge mit Erdbeeren zu bepflanzen. Sein Sohn ging hinter ihm her und reichte ihm einen Setzling nach dem anderen aus der Schubkarre. Seine Nachbarn hielten ihn für verrückt. Seev Feinberg kam, um ihn umzustimmen. »Pflanz sie in deinem Vorgarten an, Markowitz. In Blumenkästen, meinetwegen. Aber warum auf dem Feld?« Jakob Markowitz hörte seinem Freund zu und warf den Tauben ein paar Brotkrümel hin. Zehn Jahre waren vergangen, und deshalb waren es andere, jüngere Tauben. Trotzdem hingen sie immer noch an Brotkrümeln im Allgemeinen und an Jakob Markowitz im Besonderen. Die Tauben sammelten sich um Jakob Markowitz’ Füße, und Seev Feinberg erschien er in diesem Moment wie einer jener Heiligen, zu dessen Füßen sich die Tiere voll Verehrung scharen. »Ich will Erdbeeren, Feinberg. Ich will, dass mir diese Erde Erdbeeren gibt. Und das wird sie.«
    »Und wenn sie es nicht tut, verdammst du alle Bewohner dieses Hauses zu Hunger und Not.«
    Aber die übrigen Hausbewohner schienen dieser Möglichkeit gleichmütig zu begegnen. Bella hatte Jakob Markowitz noch nie gefragt, was er auf seinen Feldern setzte, und ging auch diesmal nicht von ihrer Gewohnheit ab. Wenn die Dorffrauen sie fragten, welche Strategie sie sich zurechtgelegt habe, um mit den fixen Ideen ihres Mannes fertig zu werden, wechselte sie das Thema. Nicht, weil sie in Jakob Markowitz’ Fähigkeiten vertraute. Im Gegenteil, manchmal fragte sie sich, ob die ganze verrückte Erdbeeraktion nicht bloß eine Strafe sei, die er ihr auferlegte. Doch wenn sie mit ihm bespräche, was er pflanzte und säte, würde sie alsbald auch mit ihm besprechen, was er pflückte und erntete, und dann den Geschmack der Früchte, und die Einkaufs- und Verkaufsrechnungen, und ein bisschen Politik, ein wenig Kultur, und hoppla, da wären sie schon Mann und Frau in jeder Hinsicht. Und das konnte sie nicht zulassen. Ihre Schönheit verließ sie nach und nach, rann im Schlaf von ihr ab. Gedichte las sie nicht mehr seit dem Tag, an dem sie jene Gedichte ins Feuer geworfen hatte, die sie einmal aus einem anderen Feuer gerettet hatte. Ihr Hass auf Jakob Markowitz ließ zwar nach, aber sie bewahrte ihn als das einzige Relikt der Glut ihrer Jugend.
    Zwi Markowitz hingegen vertraute seinem Vater in allem. Hätte Jakob Markowitz sich mit den Augen seines Sohnes betrachten können, wäre er von der Schönheit des Anblicks sicher überwältigt gewesen. Sein Blick war fest. Die Nase stolz. Das Kinn hart und die Stirn kühn. Seine Hände, mit denen er so oft nichts anzufangen wusste, hielten die Hacke wie ein Kämpfer das Gewehr. Bei diesem herrlichen Vaterbild im Kopf des Sohnes blieb nur zu bedauern, dass Zwi Markowitz seinem Vater früher oder später so würde begegnen müssen, wie er wirklich war, und nicht, wie

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