Eine Nacht, Markowitz
gestanden, das Fass zur Quelle geschleppt zu haben, um es im kalten Wasser zu kühlen. Großer Gott, wo hatte er bloß die Kraft her, es allein zu tragen?« Jetzt glühte Jairs Gesicht rosarot. »Strenger hat ihn verprügelt? Es war doch meine Idee! Gemeinsam haben wir das Fass geschleppt!« Lange bemühte sich Jair, die Lehrerin davon zu überzeugen, gerade eine Schandtat zu gestehen, die er wirklich und wahrhaftig mitbegangen hatte. Sofort eilte er zu Strengers Molkerei und erklärte ihm den Sachverhalt, und so rein und unschuldig war er mit seinen Apfelbäckchen und dem Pfirsichduft und den Reuetränen in den Augen, dass Strenger ihm auf der Stelle einen Krug Sahne zum Trost schenkte. Damit ging Jair Feinberg zu Zwi Markowitz nach Hause, und gemeinsam löffelten sie die Sahne.
Kurz nach der Sahneaffäre endete Jair Feinbergs Lausbubenzeit. Nicht, weil man ihn bei einem seiner Streiche erwischt hatte, denn alle Beteiligten waren sich ja einig, es habe sich um den einmaligen Ausrutscher eines sonst so anständigen und süßen Jungen gehandelt. Es war der Pfirsichduft, der Jair zu Hause hielt. Jetzt war der Geruch so stark, dass er seinen Besitzer selbst nachts noch verriet. Jair konnte sich nicht mehr im Schutz der Dunkelheit anschleichen. Sein Körpergeruch wehte ihm wie ein lauter Fanfarenstoß voraus und folgte ihm wie ein anhaltendes Pfeifen. Seev Feinberg lauschte dem Pfeifton, und seine Miene verfinsterte sich. Der Pfirsichgeruch, den sein Sohn verströmte, raubte ihm eines Nachts den Schlaf. Das war unnatürlich. Irgendetwas stimmte nicht. Dass eine Frau nach Orangen duftete oder nach Zimt oder sogar nach Nelken – das war alles schön und gut, anregend und erfreulich. Aber wer hatte je von einem Mann gehört, dessen Haut nach Pfirsich roch? Solange Jair noch ein Kind war, hatte Seev Feinberg sich eingeredet, der Geruch werde im Laufe der Zeit verschwinden wie Milchzähne oder Babyspeck oder der Glaube an einen gütigen Gott – Dinge, die der Mensch einfach ablegt. In ein paar Monaten wurde der Junge allerdings dreizehn. Wie konnte es angehen, dass er immer noch duftete wie ein Obstkuchen? Derlei Erscheinungen musste man frühzeitig Einhalt gebieten. Entschlossen stieg Seev Feinberg aus dem Bett, weckte den Jungen und forderte ihn auf, sich zu waschen. Sonia verbrachte diese Nacht in Tel Aviv und konnte deshalb nicht eingreifen, als Seev Feinberg Jairs Haut rot schrubbte. Es war schon lange nach Mitternacht, als Seev Feinberg die Hoffnung aufgab, eine einzige gründliche Körperwäsche werde reichen, um seinen Sohn endlich von dem Duft zu reinigen. »Geh schlafen«, sagte er zu dem Jungen. »Wir machen morgen weiter.«
Und sie machten am nächsten Tag weiter. Und am übernächsten. Bei Sonias Rückkehr in die Moschawa war die Haut des Jungen schon wund vor lauter Waschen und Salben. Der Geruch war geblieben. »Was zum Teufel tust du denn?«, schrie Sonia entsetzt, als sie ihren Sohn über und über mit einem grünen Puder bestäubt sah, von dem eine alte Frau aus dem arabischen Dorf Faradis behauptet hatte, es würde alles entfernen, von unerwünschten Düften bis zu quälenden Erinnerungen. Ehe Jair noch antworten konnte, entgegnete Seev Feinberg selbst in bestimmtem Ton: »Wir kriegen das weg.«
»Was denn?«
»Das.«
Sonia sah ihrem Mann ins Gesicht. Seit sie ihre Woche aufteilte – drei Tage in Tel Aviv, vier in der Moschawa –, kannte sie diesen Blick in seinen Augen bestens. Einen Blick, der besagte: Ich bin böse, weil du nicht hier bist. Einen Blick, unter dem man, wenn man nur tief genug schürfte, den antiken Schatz fand, den der Staub des Alltags völlig bedeckte: seine Sehnsucht nach ihr. Doch diese Sehnsucht tröstete sie nicht darüber hinweg, dass ihr Sohn mit einem klebrigen, grünen Pulver bestäubt war, das sofort entfernt werden musste. Bald schon schrien Sonia und Seev Feinberg sich aufgebracht an, beschuldigte sie ihn, verrückt zu sein, und beschuldigte er sie, ihrem Sohn ihren verfluchten Geruch vererbt zu haben. Da schlüpfte Jair aus dem Zimmer und ging zur Quelle.
Lange bemühte sich Jair, das grüne Pulver vom Körper abzukriegen, und nun stand er nackt da, die Schenkel im Wasser versunken und der Kopf in Gedanken. Ein unnatürlicher Geruch, hatte sein Vater gesagt. Ein Frauengeruch. Deshalb tauchte er wieder und wieder in der Quelle unter, ließ das Wasser seinen ganzen Körper bedecken, all seine Poren füllen. Bis seine Lungen die Atemnot nicht länger ertrugen und er
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