Eine Nacht, Markowitz
er ihn gern gehabt hätte. Aber vorerst lag dieser Augenblick noch in unbestimmter Zukunft, und als Zwi Markowitz den Spott seiner Freunde über die fixen Ideen seines Vaters mit den Erdbeeren hörte, drosch er mit ganzer Kraft auf sie ein. Gewiss wäre er mit ein oder zwei Zähnen weniger heimgekommen, hätte Jair Feinberg ihm nicht mit geballten Fäusten beigestanden.
Bella täuschte sich in ihrer Annahme, die Erdbeergeschichte sei nichts als eine Strafe, die Markowitz ihr auferlegte, eine Waffe gegen ihre Feindseligkeit. Menschen leben jahrelang nebeneinander, sehen sich Tag und Nacht ins Gesicht und tappen doch wie Blinde im Dunkeln. Denn wie wäre es sonst zu erklären, dass Bella, eine unbestritten intelligente Frau, die Erdbeeren nicht als eine neue Leidenschaft erkannte, die Markowitz sich zugelegt hatte, um seine alte, Bella, zu ersetzen. Es gibt ja tatsächlich den Augenblick, in dem große Leidenschaften weniger groß werden, und danach klein, und dann sind sie weg. Und Jakob Markowitz, der Bella über ein Jahrzehnt geliebt hatte, begann zu ermüden. Ein erstes Anzeichen dafür war die Wiederaufnahme seiner Besuche bei der Frau aus Haifa gewesen. Mehr als zehn Jahre waren vergangen, aber die Frau aus Haifa war genauso alt wie damals und stöhnte auch wie früher. Ihr Name hatte natürlich gewechselt. Als er sich zum Gehen anschickte, bot sie ihm Erdbeeren an, ein Mitbringsel des vorigen Freiers. Jakob Markowitz biss in eine Frucht, und seine Augen leuchteten auf. Der schale Geschmack der Frau, den er noch im Mund hatte, machte starker, lebenspraller Süße Platz. Den ganzen Weg zur Moschawa sann er über die rote Frucht nach. Er sprach das hebräische Wort für Erdbeere, Tutt, laut aus und entdeckte, dass die Lippen sich um das T kräuselten wie zu einem Kuss. Er beschloss, die Frucht auf seinen Feldern anzubauen. Er sah sich im Geist durch einen samtig roten Teppich schreiten und nach Herzenslust Erdbeeren pflücken.
Nachts kletterte Jakob Markowitz aus dem Bett, um nach seinen Setzlingen zu sehen. Trotz seines ruhigen Wesens war er jetzt bereit, jedem Nager den Garaus zu machen, der es wagen sollte, seinem Acker Schaden zuzufügen. Stundenlang schritt er das Feld ab, von einem Ende zum anderen, und wie so häufig bei Menschen, die nachts allein durch die Gegend wandeln, begann er auch zu reden. Er erzählte den Erdbeersetzlingen von seiner Kindheit und seinen Eltern. Erzählte von seinem langweiligen Leben. Erzählte von dem Augenblick, in dem sich alles verändert hatte, als er Bellas Gesicht in einem überfüllten Wohnzimmer in einer frostigen Stadt erblickte. Wenn er von Bella anfing, konnte er nicht mehr aufhören, die Geschichte seiner unglücklichen Liebe zu schildern. Er bejubelte ihre Haut, pries ihre Augen, schwärmte von ihrem Haar und beschrieb sogar ihre Brüste. Die Erdbeersetzlinge lauschten stumm, und mehr brauchte Jakob Markowitz nicht. Mit blitzenden Augen sprach er von ihrem aristokratischen Gang, ihrer majestätischen Kopfhaltung, dem Profil ihrer Nase. Die Stunden gingen dahin und verrannen, und Jakob Markowitz ging und redete, und wenn er nicht mehr gehen konnte, legte er sich rücklings auf den Boden, behutsam, um die Pflänzchen nicht zu zerdrücken, und flüsterte der Erde alles Weitere zu. Beschwor das wunderbare Dreieck von Bellas Scham, das er nur ein Mal in einem Gnadenmoment zu Gesicht bekommen hatte. Beschwor ihren Bauch. Beschwor die Zartheit ihrer Glieder. So schlief er kurz vor Sonnenaufgang ein, vergoss seine Begierde auf die Erde, und die Erdbeerblätter schützten sein Gesicht vor der Sonne.
Bald waren Jakob Markowitz’ nächtliche Ausflüge im ganzen Dorf bekannt. Zwar unterhielten sich auch andere Bauern gelegentlich mit dem Getreide oder schäkerten ein bisschen mit den Kühen, aber keiner machte sich die nächtlichen Spaziergänge zur festen Gewohnheit. Doch kaum steckten die Erdbeerpflanzen in seiner Erde, verbrachte Jakob Markowitz keine Nacht mehr im Bett. Es hieß, er würde den Erdbeeren die Abendzeitungen vorlesen. Man munkelte, er würde unsittliche Lieder für sie dichten. Man tuschelte, er würde des Öfteren seinen Samen auf den Boden ergießen, um für guten Ertrag zu sorgen. Jakob Markowitz hörte das Gerede gar nicht. Die langen Jahre in der Moschawa hatten seine Sinne gegen die Vorwürfe der Leute abgestumpft. Weder sah er ihr Kopfschütteln noch hörte er ihr Zungenschnalzen. Aber Zwi Markowitz sperrte sehr wohl Augen und Ohren auf und war
Weitere Kostenlose Bücher