Eine Nacht, Markowitz
glänzendem Licht. Bella war nicht mehr von einem zarten, goldenen Strahlenkranz umgeben. Er sah sie so, wie sie waren, und deshalb mussten auch sie sich so sehen, wie sie waren. Und das tat weh.
Kurz nachdem Jakob Markowitz das begriffen hatte, merkte er auch, dass sein Sohn nicht mehr »Papa« zu ihm sagte. Obwohl er mit Bella nicht darüber gesprochen hatte, wusste er, dass es ihr ebenso aufgefallen war. Sie verhielt sich jetzt vorsichtiger, rückte nicht mehr so grob und offen von Markowitz ab. Als fürchtete sie, der Junge könnte sich sonst ebenfalls von ihm abwenden. Schließlich war Jakob Markowitz nicht sein Vater. Hier irrte sie, denn er war ja sein Vater. Er hatte ihn als Vierjährigen über Albträume hinweggetröstet und ihm als Fünfjährigem das Fahrrad eingestellt. Er hatte ihm die ersten Wörter vorgesprochen. Er hatte jede Wunde und Schramme desinfiziert. Jakob Markowitz liebte den Jungen fest und innig, völlig unabhängig von seiner Liebe zur Mutter. Die aufkommende Distanz bekümmerte ihn nicht weniger als Bella. Trotzdem fragte er den Jungen nicht, was mit ihm los war. Wann immer er ihn sah, lagen ihm die Worte schwer und unbeholfen auf der Zunge. Bisher hatte er im Umgang mit dem Jungen nie Worte gebraucht. Vielleicht war die Beziehung deshalb so gut gewesen. Wortlos hatten ihre verschwitzten Körper sich das Tagewerk auf den Feldern geteilt. Wortlos hatten sie sich bei einem kalbenden Muttertier verständnisvoll angelächelt. Wortlos waren sich ihre Augen begegnet, wenn Jakob Markowitz die Wunden seines Sohnes mit geschickten Fingern reinigte und nur ein Zittern der Lippe seine Wut über die Verletzung verriet, die man dem Jungen zugefügt hatte. Aber seit dem Wochenfest bat Zwi Markowitz seinen Vater nicht mehr, ihm eine blutende Wunde zu verbinden. Die Kämpfe hatten schlagartig aufgehört. Er kämpfte nicht mehr mit den Jungs. Jetzt kämpfte er mit sich. Wenn Wunden auftraten, dann fraßen sie sich von der Haut ins Fleisch hinein, sahen kein Sonnenlicht. Trotzdem fielen sie Naama auf.
»Worüber streitet ihr euch?«, fragte sie Zwi Markowitz an einem glutheißen Mittag auf dem Schulhof. »Wer streitet sich?«
»Du mit dir.« Er schnaubte abfällig und wandte sich zum Gehen, aber Naama, längst bewandert im Entschlüsseln von Gerüchen, merkte seinem Atem an, dass sie recht hatte, und der Hand die Kränkung, nicht ergriffen worden zu sein. Zwi Markowitz ließ sie stehen und kehrte in sein Haus und zu seinen Beobachtungen zurück. Ein paar Mal stand Jakob Markowitz vor der Zimmertür des Jungen, die Hand zum Anklopfen erhoben. Doch jedes Mal ließ er die Hand schließlich wieder sinken und ging davon. Das Schweigen legte sich wie Spinnweben um das Haus.
Eines Tages, als Naama, Zwi und Jair im Schatten der Zypressen lagen, tat Zwi Markowitz endlich den Mund auf und sagte laut, was er wochenlang nur im stillen Herzen gedacht hatte: »Ich will hier weg. Auf und davon.« Es war ein heißer Tag. Die Erde glühte. Der Schatten, den die Zypressen warfen, war nichts als ein dunkler Fleck auf dem Boden. Jair Feinberg wandte dem Freund träge, aber neugierig das Gesicht zu. Die schwarzen Locken ruhten auf seiner Stirn, seine rosigen Pfirsichlippen standen einen Spalt offen: »Wohin?«
Zwi Markowitz zögerte. Er hatte lange mit sich gekämpft, ob er weggehen sollte, sich aber kein einziges Mal gefragt, wohin. Schlimmer noch – er meinte, einen Anflug von Spott in den Augen seines Freundes zu erkennen, als fände Jair Feinberg es komisch, dass jemand wild entschlossen sein konnte, seinen Aufenthaltsort zu verlassen, ohne die geringste Ahnung von seinem Ziel zu haben. Dabei genügte es doch für den Aufbruch, dass man einen Ausgangspunkt hatte. Warum dann also der skeptische Blick in Jairs Augen?
Aber Jairs Blick galt nicht Zwi Markowitz, sondern Naama, deren Augen bei Zwis Worten zu funkeln begonnen hatten. Weg von hier. Auf und davon. Wieso waren sie nicht früher darauf gekommen. Sie würden alle drei fliehen, vielleicht noch heute Nacht. Wenn sie schnell genug gingen, konnten sie in einer Woche am Kinneret sein. Sie würden Fische und Datteln essen. Sie würden im See schwimmen. Keiner würde wissen, wer sie waren. Keiner würde wissen, dass die Eltern Jair mehr liebten. Aber als sie das mit der Wanderung zum Kinneret laut aussprach, prustete Jair vor Lachen. »Nach knapp zwei Stunden krepieren wir am Hitzschlag.«
»Dann gehen wir bei Nacht.«
»Vielleicht fahren wir«, schlug Zwi
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