Eine Nacht, Markowitz
Während Seev Feinberg und Sonia sich noch balgten, fragte Jair seine Schwester: Wo wart ihr denn? Er habe sich doch gerade noch gebückt, um mit ihr die Erdbeeren aufzulesen, und im nächsten Moment sei er allein gewesen – Zwi Markowitz weg, seine Schwester weg. Fast zwei Stunden habe er nach ihnen gefahndet. Im ganzen Dorf habe er rumgefragt. Und dann komme sie einfach so reinspaziert, ihr weißes Kleid schlammverschmiert. Das Gesicht hochrot.
Naama sah ihren Bruder an und erklärte, sie sei ihm keine Rechenschaft schuldig. Trotzdem war sie ganz aufgeregt, dass er Rechenschaft von ihr verlangte, ihr verschmutztes Kleid, ihre späte Heimkehr bemerkte, all die Dinge, die Seev Feinberg und Sonia über ihrer Quarkschüssel gar nicht aufgefallen waren. Auf die Antwort seiner Schwester hin machte Jair Feinberg ein böses Gesicht und ging in sein Zimmer. Naama hastete ihm nach, entschlossen, ihn zu versöhnen. Sie schlug vor, gemeinsam ein Buch zu lesen oder mit den Karten zu spielen, die er einmal dem ekelhaften Sohn von Jeschajahu Ron weggenommen hatte, nachdem der sie an den Haaren gezogen hatte. »Geh doch mit ihm spielen«, bellte Jair Feinberg und knallte die Tür zu.
Minutenlang blieb Naama im Grenzgebiet zwischen Jairs verschlossener Tür und dem Streit ihrer Eltern stehen. Aus der Küche schallten weiter die fröhlichen Debatten. Unter Jairs Zimmertür drang starker Pfirsichgeruch hervor, das hieß, er hatte sich ausgezogen. Naama stand vor verschlossener Tür und atmete tief. Jairs Pfirsichduft mischte sich mit dem Orangengeruch, der ständig durchs Haus wehte, wenn ihre Mutter daheim war. Pfirsich und Orange. Orange und Pfirsich. Und die Quelle, von der ihre Mutter behauptete, sie würde Wünsche erfüllen. Die Feigen, die gereift waren. Ihre Haut, die unreif geblieben war. Plötzlich wusste sie, dass sie es nicht ertragen würde, wenn Jairs Tür verschlossen bliebe. Wenn ihr auch noch der Pfirsichgeruch genommen würde. Da beschloss sie, niemals, unter keinen Umständen, wieder Zwi Markowitz’ Hand zu halten.
3
D ie Erdbeeren verkaufte Jakob Markowitz mit großem Gewinn. Zum ersten Mal im Leben gelang es ihm, geschickt zu verhandeln, denn der Abschied von den Früchten ähnelte aus seiner Sicht dem Abschied von einer Geliebten. Von dem Erlös kaufte er Bella einen roten Seidenschal. Schon wenige Tage später sah Jakob Markowitz, wie Bella den Schal als Geschirrtuch benutzte. Doch während er nur die Achseln zuckte und weitere Liebesnächte bei den Erdbeeren verbrachte, bekam er wieder mächtiges Verlangen nach seiner Frau. Eigenartig: Gerade weil die Erde seinen aberwitzigen Forderungen nachgab, sammelte er neue Kraft, um Bella festzuhalten. Als bewiese die Ergebung der einen, dass auch die andere sich, auf eifriges Werben, hingeben würde. Deshalb umwarb er sie nun wieder wie damals, als sie gerade erst bei ihm eingezogen war. Doch je mehr Bella seine Leidenschaft spürte, desto kühler wurde sie. So ging es ein paar Tage turbulent zu in den Zimmern des Hauses, er rückte näher, und sie rückte ferner, und so vertieft waren sie, er in seine Zuneigung, sie in ihre Abneigung, dass Jakob Markowitz erst zwei Wochen nach dem Wochenfest merkte, dass sein Sohn nicht mehr »Papa« zu ihm sagte.
Zwei Wochen lang beobachtete Zwi Markowitz seine Eltern, betrachtete sie genauestens, wie ein Wissenschaftler das Verhalten der Fische im Aquarium verfolgt. Er sah Jakob Markowitz’ Balztanz und die Stacheln, die Bella gegen ihn ausfuhr. Er sah die Giftblasen, die sie ausstülpte, und die Gaben, die er ihr darbrachte. Letzten Endes benahmen sie sich nicht anders als der Tintenfisch und der Feuerfisch, die er beim Schulausflug in den Labors der Technischen Hochschule in Haifa gesehen hatte. Er versuchte, sie mit seinen acht Armen einzuwickeln, sie war giftig und entschlüpfte. Aber anders als der Tinten- und der Feuerfisch, die sich ewig umkreisen können, ob nun tief im Meer oder vor den staunenden Augen von vierzig Schülern, begannen Jakob Markowitz und Bella, die forschenden Augen zu spüren. Langsam ließen sie von ihrem Kreiseln ab, verstört über die neue Präsenz. Noch nie hatte der Junge sie so angesehen. Zuerst wussten sie gar nicht zu sagen, was genau an seinem Blick ihre Bewegung lähmte. Bis sie schließlich, jeder für sich, erkannten, was in den Augen des Jungen stattgefunden hatte: Entleerung. Zwi Markowitz betrachtete seine Eltern mit illusionslosem Blick. Jakob Markowitz leuchtete nicht mehr in
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