Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
Vom Netzwerk:
deshalb ständig von blauen Flecken übersät. Fast täglich geriet er wegen seines Vaters mit einem der Jungs aneinander. Konnte jederzeit mindestens fünf Blutergüsse an seinem Körper zählen. Er trug sie stolz, wie ein Soldat seine Tapferkeitsauszeichnungen, und schwor sich, seinem Vater nichts über ihre Herkunft zu verraten.
    Nach sechzig Tagen erhörte die Erde Jakob Markowitz’ Werben. Die Erdbeerpflanzen, die sich jede Nacht die erotischen Träume des entschlossenen Bauern angehört hatten, wagten nicht, ihm nun ebenfalls den Rücken zu kehren. Sechzig Nächte war Jakob Markowitz zwischen ihnen gewandelt, hatte sie im Schlaf umarmt, sich in seinem Verlangen in die Erde gekrallt, und nun wurde er reich belohnt. Die roten Früchte entsprangen der Erde wie Lustseufzer einem langen Liebesakt. Jakob Markowitz sah es und konnte es kaum glauben, hatte im stillen Herzen befürchtet, auch die Erde werde sich ihm verweigern. Doch statt sich zu weigern, sagte sie nun ganz und gar »Ja«. Ja, ja und nochmals ja, eine Erdbeere und noch eine und noch eine, bis das ganze Feld einen langen, roten Seufzer ausstieß. Es war die Zeit um das Wochenfest, und das Seufzen von Jakob Markowitz’ Erde war im ganzen Dorf zu hören. Alle horchten neugierig und ein bisschen neidisch, wie man dem Beischlaf seines Nachbarn lauscht. Zwi Markowitz ging mit triumphierendem Lächeln durch die Straßen. Jetzt erkannten alle die Größe seines Vaters. Am Vorabend des Wochenfestes füllte er einen Korb mit den erlesensten Früchten, so süß, dass sie kaum aus der Haustür damit kamen. Alle Augenblicke stibitzte Bella eine Erdbeere, streckte Jakob Markowitz begehrlich die Hand aus, und Zwi musste den Korb erneut auffüllen, um ihn draußen präsentieren zu können. »Ausgezeichnet«, sagte Bella, und Jakob Markowitz nickte zustimmend. Und Zwi, der sich nicht erinnern konnte, wann sein Vater und seine Mutter in seinem Beisein je so locker miteinander umgegangen waren, sah zu, dass er aus dem Haus kam, ehe der Augenblick verstrich.
    Nun zog er mit den anderen Jugendlichen die Hauptstraße des Dorfes entlang, jeder mit seinen schönsten Früchten. Naama Feinberg schritt neben ihm, das goldene Haar hochgesteckt. Auf seiner anderen Seite ging Jair Feinberg, der mit strenger Miene eine Schubkarre voll Kürbisse vor sich herschob. Er weigerte sich standhaft, auch nur einen einzigen Pfirsich in die Schubkarre zu legen, hatte schon eine nicht unerhebliche Zahl wohlmeinender Bauern abweisen müssen, die genau das tun wollten. Zwi Markowitz ging zwischen seinem besten Freund und seiner hübschen kleinen Schwester, in der Hand einen Korb voll Erdbeeren und im Herzen ein nie gekanntes Gefühl: Es gab nichts, was er an diesem Augenblick hätte ändern wollen. Sogar Sahava Tamirs und Rivka Schachams näselnde Stimmen kurz hinter ihm konnten der Süße der Stunde nichts anhaben. »Guck dir an, wie schön die Kinder von Feinberg sind, man könnte glatt Bilder von ihnen an die Zeitung schicken. Schade, dass Markowitz’ hässlicher Sohn zwischen ihnen steckt.« »Wenigstens die Erdbeeren in seinem Korb sehen hübsch aus.« »Na gut, es wird ja auch Zeit, dass Jakob Markowitz mal was richtig hinkriegt. Wenn deine Frau dich hasst und du ein Kind aufziehst, das nicht deins ist, dann solltest du dich wenigstens ernähren können.«
    Nicht sofort entglitt der Erdbeerkorb Zwi Markowitz’ Händen. Noch fünf volle Minuten ging er mit ihm weiter, die Beine zwei Teigklumpen, wie die der Lebkuchenjungen, die seine Mutter ihm früher bei guter Laune gebacken hatte. Bei jedem Auftreten spürte er das Bein schier unter sich einknicken, sich verdrehen. Und die ganze Zeit gingen Jair Feinberg mit seiner Schubkarre voll Kürbisse und Naama Feinberg mit ihren Orangen neben ihm her und warfen ihm verstohlene Blicke zu, ob er es wohl gehört hatte. Gerade als sie sich sagten, er habe es sicher überhört, gerade als sie sich damit beruhigten, dass die Worte ihm wie durch ein Wunder entgangen sein mussten, denn es war ja schon fünf Minuten her, und Zwi Markowitz’ Gesicht war verschlossen, gerade da blieb Zwi Markowitz abrupt stehen und ließ den Erdbeerkorb fallen. Die roten Früchte kullerten über den Boden, wurden unter den Füßen der Nachfolgenden zertreten. Irgendwer murmelte was von der Unbeholfenheit des Jungen. Jemand rief: »Das bringt Glück.« Zwi Markowitz lauschte keinem von ihnen. In seinem Innern krachte alles donnernd zusammen, steinerne Säulen und

Weitere Kostenlose Bücher