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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Und er wollte schon vorschlagen, auf ihr Herbergszimmer zu gehen und es bis zum Treffen mit den Frauen, die sie heiraten sollten, nicht mehr zu verlassen, der Gegenwart, die die Vergangenheit zerstörte, den Rücken zu kehren, doch da lächelte Seev Feinberg sichtlich entschlossen unter seinem Schnauzer, stand auf und bot der Kellnerin seine Hilfe an.
    Sie hieß Ingrid und hatte ein höchst kompliziertes Seelenleben, für das Seev Feinberg sich kein bisschen interessierte. Sie verbrachten den ganzen Nachmittag und die folgende Nacht miteinander, ohne dass ein einziges Wort über die Gedichte gefallen wäre, die sie insgeheim verfasste, oder über ihre Sehnsucht nach dem Vater, der die Familie verlassen hatte, als sie sechs Jahre alt war. Einen Monat nach dem Stelldichein wusste sie seinen Namen nicht mehr, und er hätte sie auf der Straße nicht wiedererkannt (höchstens vielleicht, wenn sie sich im selben Winkel wie im Kaffeehaus gebückt hätte). So unwichtig war das Treffen, dass es genauso gut auch nicht hätte stattfinden können. Tatsächlich steht zu bezweifeln, ob es überhaupt stattgefunden hat.
    Und doch war einer zutiefst beeinflusst von der Begegnung zwischen Seev Feinberg und Ingrid, deren Familiennamen sie nicht kannten. Das war Jakob Markowitz. Als ein neues Stück Cremetorte auf dem Tischchen landete, ging Jakob Markowitz allein zur Herberge. Ehrlich gesagt war er auch die vorigen Abende allein in die Herberge gegangen, aber heute tat er es schwereren Schritts. Hätte ein Herbergsgast Jakob Markowitz eintreten sehen, hätte er sicher gedacht, er habe ordentlich was gegessen. Sein langsamer Gang und die Hand auf dem Bauch ließen das vermuten. Doch Jakob Markowitz’ Bauch war voll der Einsamkeit, nicht voll des Essens, und die erschwerte seine Schritte und schickte ihn auf sein Zimmer. Wäre er jetzt in seinem Haus in der Moschawa gewesen, wäre er auf den Hof gegangen, um die Tauben zu füttern. Wenn dir ein Lebewesen aus der Hand frisst, fühlst du dich nicht einsam. Aber die europäischen Tauben wollte er nicht füttern. Die fand er zu affig, arrogant geradezu, und aus bestimmten Blickwinkeln erinnerten sie ihn stark an den Reichsadler. Jakob Markowitz ging also ins Bett. Die Nacht war kalt, und er wärmte sich mit der Federdecke und mit Selbstmitleid, das eiskalte Füße noch besser auftaut als Gänsefedern. Immer wieder kamen ihm die Brüste der gebückten Kellnerin in den Sinn, das Netz bläulicher Äderchen, die er wie die Saiten einer Harfe zupfte. Er spielte immer weitere Melodien auf den Brüsten der Kellnerin, bis sie sich in seinem Geist in ein riesiges, aufgeschlagenes Notenheft verwandelten, wie das seines Vaters, das er nur selten hatte anschauen dürfen.
    Als Jakob Markowitz die Brüste der Kellnerin erschöpfend studiert hatte, beschloss er, sich andere Brüste für seine Grübeleien zu suchen. Zuerst zitierte er Rachel Mandelbaum und die Herbergswirtin herbei, aber bald hatte er genug von Brüsten aus Fleisch und Blut und begab sich in das wunderbare Reich der Möglichkeiten. Morgen würde er ja zwanzig jüdische Mädchen treffen, als deren Retter sie gekommen waren. Neunzehn Frauen, die im Allgemeinen dankbar wären, und eine – die, die er heiraten würde – im Besonderen. Ordnungshalber stellte Jakob Markowitz die neunzehn ersten in eine Reihe und musterte sie eine nach der anderen, ohne sich lange mit den Gesichtszügen aufzuhalten. Aber als er beim zwanzigsten Mädchen angekommen war, wagte er nicht, ihre Brüste anzuschauen. Sie war ja – zwar nur auf dem Papier, im Zuge einer Rettungsaktion, allein für die Zeit der Überfahrt, aber eben doch – seine Frau. Und es schickte sich nicht, dass ein Mann die Brüste seiner Frau begutachtete, ohne ihre Erlaubnis einzuholen – schließlich war sie keine gebückte Kaffeehausbedienung. Stattdessen betrachtete Jakob Markowitz lange ihr Gesicht. Er war der Kunstmaler und der begeisterte Betrachter in einer Person, malte sich im Geist ihre Züge aus und bewunderte gleichzeitig ihre Schönheit.
    Und so gewöhnlich Jakob Markowitz’ Züge waren, die den Blick ohne den leisesten Aufenthalt abgleiten ließen, so waren die Züge des Mädchens in seiner Fantasie das genaue Gegenteil. Und da der Mensch sich nichts vorstellen kann, was er noch nie gesehen hat, waren die Gesichtszüge seiner Drei-Wochen-Frau ein großartiges Puzzle aus Teilen vertrauter Gesichter. Er verlieh ihr die Lippen von Gila Schatzmann, so voll wie eine berstende

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