Eine Nacht, Markowitz
Zeit bis zur Hochzeit bleibt, habe ich mir erlaubt, den Rest des Abends für ein kurzes Kennenlernen zwischen den beliebig zusammengefügten Paaren freizustellen. Wer weiß, vielleicht schafft ihr’s ja sogar noch, euch ein bisschen zu streiten – das Erkennungszeichen jeden Ehepaars.« Die Anwesenden lachten über den Scherz, und Michael Katz’ Ansprache war im Keim erstickt. Mit einem Zungenschlag hatte der Ortsgruppenleiter den feierlichen Ernst im Zimmer vertrieben, die Größe des Moments ruiniert und dem offiziellen Kommandeur nichts weiter übrig gelassen, als wichtigtuerisch die Liste aus der Tasche zu ziehen und sie in einem Ton vorzulesen, von dem er hoffte, er werde glorreich klingen.
»Gideon Gottlieb – Rivka Rosenberg.
Jehuda Grünberg – Fruma Schulmann.«
Als Michael Katz die Namen verlas, verflog sein Zorn und machte Hochstimmung Platz. Jedes fiktive Paar, das er aufrief, war ihm wie Schild und Schwert, Kugel und Gewehr, Handgranate und Verschluss, insgesamt also ein Kampfverband für die Zukunft Israels. In diesen Minuten verlor er keinen Gedanken an Romantik. Vergaß beinah, dass es um Männer und Frauen ging, dachte nur an den bewaffneten Widerstand und an die illegale Einwanderung, an den Phönix, der sich auch nach vernichtenden Niederlagen wieder in die Lüfte aufschwingt.
Die Irgun-Kämpfer hingegen vergaßen kurz mal die Zukunft des jüdischen Volkes und besahen sich lieber, was das Schicksal ihnen bescherte. Wurde der Name eines Mannes aufgerufen, trat er einen Schritt vor, und folgte dann der Name der Frau, erhob sie sich von Sofa oder Stuhl. Sie gaben sich förmlich die Hand und steuerten eine der Zimmerecken an, die sich zusehends mit plaudernden Paaren füllten. Obwohl die Männer ihr Mienenspiel gut beherrschten, lächelte Jehuda Grünberg unverkennbar triumphierend, als er Fruma Schulmann die Hand drückte und darüber ihre milchweiße Schulter bewunderte, unter der sich wiederum Brüste so süß wie Schlagsahne wölbten. Ebenso unübersehbar war die Enttäuschung von Chanan Moskowitz, der sein gutes Geld für Kölnisch Wasser ausgegeben hatte und nun, halb verdeckt von Chawa Blausteins opulentem Körper, an der Tür stand. Seev Feinbergs Lächeln trübte sich kein bisschen bei der Entdeckung, dass er eine Kleine mit Damenbart namens Jaffa heiraten sollte. Er würde ja ohnehin alle durchprobieren. Er küsste ihr galant die Hand und führte sie ans Fenster, wobei er Jakob Markowitz allein stehen ließ. Jakob Markowitz sah sich um und entdeckte überall schwatzende Paare, nur die stehende Frau war noch übrig, den Rücken dem Zimmer zugewandt. Das erkannte auch Michael Katz, der die Stimme besonders hob, als er feierlich das letzte Paar aufrief:
»Jakob Markowitz – Bella Seigermann.«
Später hätte Jakob Markowitz sich ohrfeigen mögen wegen seines Gesichtsausdrucks, als die Frau am Fenster sich umdrehte. Der aufgesperrte Mund, die vorquellenden Augen, all das sollte ihn auf Schritt und Tritt verfolgen. Doch ungerechtfertigt verhöhnte er die Kinnlade, die abgesackt war, als hätte sie ein Eigenleben, die hochgeschnellten Brauen. Kein Mensch hätte anders reagiert, wäre er in einer Wohnung im Osten der Stadt haargenau dem Gesicht begegnet, das er erst kurz vor Sonnenaufgang endlich im Geist hatte fertig basteln können.
Schließlich musste Michael Katz eingreifen. Er hatte ein paar Minuten abgewartet, in der Hoffnung, Jakob Markowitz werde endlich den Mund zuklappen und Bella Seigermann entgegengehen, aber der machte keinerlei Anstalten. Bella Seigermann schien, nachdem sie sich einmal gnädig umgedreht hatte, ebenfalls keine weiteren Schritte zu erwägen. Hier war also eine Intervention von außen erforderlich, eine scharfe und treffsichere Maßnahme, um den sonderbaren Bann zu brechen, der hier mitten im Zimmer herrschte. Michael Katz erkannte es und sprach Jakob Markowitz freundlich, aber mit warnendem Unterton an: »Na, Markowitz, möchtest du der Dame nicht die Hand geben?« Jakob Markowitz starrte ihn entsetzt an, als sei allein schon der Gedanke ein Sakrileg. Bella Seigermann lächelte höflich, und Michael Katz fragte sich, wieso ausgerechnet Jakob Markowitz sie heiraten würde, während ihn persönlich die flachbrüstige Miriam Hochmann am anderen Ende des Zimmers erwartete. Mit sichtlicher Anstrengung gelang es Jakob Markowitz, sich zu fassen und Bella Seigermann die Hand zu geben, wobei er ihre Finger so zart berührte, als höbe er ein aus dem Nest gefallenes
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