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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Vogelküken auf. Bella Seigermanns Blick ruhte einen Moment auf seinem Gesicht. Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Bella Seigermanns Blick schweifte weiter.
    Jetzt standen sie beide da und schwiegen. Michael Katz begriff, dass er gescheitert war. Ohne ein weiteres Wort ging er zu Miriam Hochmann, verfluchte im Stillen alle armseligen Männer und alle schönen Frauen. Während Michael Katz sich anschickte, der öden Pflicht einer höflichen Konversation mit seiner Zukünftigen nachzukommen, verabschiedete sich Seev Feinberg bereits von dieser Pflicht und deponierte Jaffa, noch hochrot von etwas, das er ihr eben ins Ohr geflüstert hatte, auf dem Sofa. Nun wollte Seev Feinberg nachschauen, was die Glücksgöttin seinem Freund beschert hatte, und stellte wieder einmal fest, dass diese Hündin ungerührt Nüsse an Zahnlose verschenkte. Denn Bella Seigermann war ohne jeden Zweifel die schönste Frau in der Wohnung. Und obwohl er sie, anders als Jakob Markowitz, nicht für die schönste Frau hielt, die er je gesehen hatte, saß sie doch zweifellos auf dem Olymp jener göttlichen Frauen oder weiblichen Götter, auf dem Jakob Markowitz nicht mal als Diener Zutritt gefunden hätte. Seev Feinberg bedauerte seinen Freund, da er sah, dass Jakob Markowitz’ Blick jeder Kopfbewegung von Bella Seigermann folgte, während Bella Seigermanns Blick alles suchte, was nicht Jakob Markowitz war. Fast ohne ihr Zutun lief im Zimmer all das ab, was in vier Wänden immer geschieht, wenn eine schöne Frau anwesend ist. Die Männer, die endlich das Gesicht auf der anderen Seite des Rückens erblickten, unterhielten sich nun lauter mit ihren Partnerinnen, damit ihre Scherze der Schönen zu Ohren kämen. Diejenigen, die eine passende Ausrede gefunden hatten – »Vielleicht hole ich dir ein Glas Wasser«, »Du möchtest doch sicher einen Augenblick frische Luft schnappen« –, kehrten aus ihrer Verbannung in den Zimmerecken zurück und scharten sich um Bella Seigermann. Die Frauen traten dazu und betrachteten Bella Seigermann mit einer Kühle, an die sie ebenso gewöhnt war wie an die Kälte des europäischen Klimas, die sie von Geburt an kannte.
    Unwillkürlich umwarb auch Seev Feinberg Bella Seigermann mit Worten. Die Macht der Gewohnheit. Er erzählte ihr von seiner kühnen Flucht vor dem Messer des Schächters, eine Geschichte, die ihm schon unter den Männern Ehre eingebracht hatte und jetzt auch beim dreißigsten Vortrag die erwarteten Bewunderungsrufe erntete. Die Männer klatschten Beifall an den richtigen Stellen, und die Frauen, die die Geschichte zum ersten Mal hörten, beugten sich aufmerksam vor, sodass Seev Feinberg erkannte, welche sich den Lippenbart zupfte und welche das nicht nötig hatte. In den langen Tagen auf dem Schiff hatte Seev Feinberg die Geschichte meisterlich ausgefeilt, unwichtige Einzelheiten weggekürzt und Abraham Mandelbaums Messer verlängert. Er hielt klugerweise inne, wenn schallendes Lachen aufkam, nickte zustimmend auf Laute der Bewunderung und versuchte mit aller Kraft, den reglosen Artisten auf dem Stadtplatz aus dem Kopf zu kriegen. Schließlich vertrieb ihn Bella Seigermann selbst, als sie Seev Feinbergs Arm berührte und sagte: »Aber sagen Sie mal, ist das wirklich passiert?« Seev Feinberg sah ihr ins Gesicht, suchte fieberhaft nach dem Satz, der sie sein machen würde. Aber plötzlich sah er in Bella Seigermanns Augen nichts als Sonias Augen und begriff, dass er niemals mit ihr schlafen würde. Daher beschloss er, seinem Freund zu helfen. »Wirklich und wahrhaftig, meine Dame. Das kann mein Freund Jakob Markowitz bezeugen, er hat mir das Leben gerettet, als der Schächter mir danach trachtete.« Bei diesen Worten sah Seev Feinberg sich suchend nach Jakob Markowitz um, aber der hatte längst Bauchgrimmen bekommen und war aus dem Blickfeld verschwunden. Bella Seigermanns Miene zeugte von angestrengtem Nachdenken.
    »Jakob Markowitz. Der Name kommt mir bekannt vor.«
    »Klar kennen Sie den, meine Dame, er ist ja Ihr Ehemann.«
    Schon von Kindesbeinen an hatte Bella Seigermann wenig Lust, die Welt so hinzunehmen, wie sie war. Es war ein stummer Widerwillen, der sich in Frageform kleiden ließ: Was? Ist das alles? Bella Seigermann betrachtete die Tauben auf dem Platz und die Straßenlaternen, musterte die schwindende Farbe des Himmels nach dem Sonnenuntergang und gelangte zu dem Schluss, dass es damit nicht enden konnte. Eine gestärkte Baumwollserviette. Eine Flasche Milch mit

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