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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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– sie hatte schon ihren Platz am Strand eingenommen, häufte Schimpf und Schande auf Seev Feinberg, mit neuer Kraft und lauter Stimme, aus vollem Herzen und ganzer Seele.

4
    A ls Jakob Markowitz und Seev Feinberg von Bord des Schiffes gingen, wankten sie schwindlig den Kai entlang. Dieses Phänomen ist unter Seefahrern hinlänglich bekannt, und deshalb maßen sie ihm keinerlei Bedeutung bei. Aber ihr Kopf schwindelte auch noch am nächsten Tag. Und am übernächsten. Schließlich sagte Seev Feinberg, es rühre nicht vom Schiff her, sondern von dem Festland, auf dem ihre Füße standen. Sie tranken Kaffee an einem Tischchen, das unter Seev Feinbergs massivem Gewicht knarrte. Sein Oberkörper bedeckte die Fläche gänzlich, und sein Krauskopf schmückte die Tischmitte wie eine Topfpflanze, die man zu beschneiden vergessen hatte. Wegen dieser Besitzergreifung war Jakob Markowitz gezwungen, seine und Seev Feinbergs Tasse, zwei Kuchengabeln und ein Stück Cremetorte in Händen zu halten. Dieser meisterliche Balanceakt hätte ihm gewiss ein paar Münzen eingebracht, wäre er auf dem nahen Platz aufgetreten, wo Seev Feinberg eine Handvoll Kleingeld in den Hut eines Artisten geworfen hatte, der seit einer geschlagenen Viertelstunde reglos dagestanden hatte. Jakob Markowitz hatte den Artisten mit wachsendem Unbehagen betrachtet, hätte ihn beinah an den Schultern gepackt, um ihn wach zu rütteln und anzuschreien: »Beweg dich, Mensch! Steh nicht da wie ein Standbild, während sich ringsum alles pausenlos verändert, sei ein anderer, ein anderer!« Doch Seev Feinberg hatte dieser demonstrativen Standfestigkeit Hoffnung abgewonnen, dieser Fähigkeit, dem Treiben der Straße den Rücken zu kehren, den Passanten, die ihn in ihr Lachen und ihre Geschichten hineinziehen, ihn mit einem scharfsinnigen Satz herausfordern wollten. Sicher brannte ihm die Zunge dort im Mund.
    Kaum hatten sie sich von dem Artisten abgewandt, war es Seev Feinberg wieder schwindlig im Kopf geworden. »Komm, setzen wir uns«, hatte er zu Jakob Markowitz gesagt, und so balancierte der nun einen Berg von Porzellantellerchen und Kaffee und Kuchen, während Seev Feinberg auf dem Tisch lag, ohne erkennbare Absicht, seine Stellung aufzugeben. Aus seiner Lockenfülle klang ein dumpfes Brummeln, und Jakob Markowitz lehnte sich vor, um besser zu hören. Dabei geriet der Geschirrberg in seinen Händen aus der Balance und zerschellte auf dem gebohnerten Boden des Kaffeehauses. Der Krach des zerspringenden Porzellans klang für Jakob Markowitz nur wenig leiser als der in der Kristallnacht. Eine mürrische Kellnerin stürmte herbei, den Besen wie eine Lanze schwingend. Jakob Markowitz schenkte ihr ein verschämtes, leicht missglücktes Lächeln. Als sie sich bückte, um die Scherben aufzulesen, spähte er zwischen ihre Brüste und kam sich vor wie ein Säugling. Immer fühlte er sich wie ein Säugling in Anwesenheit solcher Frauen, der Personifizierung von Tüchtigkeit, Ordnung und Sauberkeit, deren Schürzen nach säuerlicher Milch und Kuchenkrümeln rochen. Jakob Markowitz fühlte sich von Kaffeehauskellnerinnen ebenso angezogen wie abgestoßen, aber sie würdigten ihn nie eines Blickes, es sei denn, er zerbrach etwas. Dann durchbohrten sie ihn mit wütenden Blicken, ehe sie sich bückten, um die Scherben aufzusammeln, wobei ihre Brüste unter dem leise schimpfenden Mund hervorlugten. Während Jakob Markowitz noch zwischen den süßen Brüsten und der brennenden Scham hin und her gerissen war, bemerkte er, dass Seev Feinberg immer noch mit dem Kopf auf dem Tisch lag und ununterbrochen brummelte.
    »Was hast du gesagt?«
    Seev Feinberg hob endlich den Kopf, ignorierte völlig die Trümmer der Cremetorte und die Scherben am Boden, nickte aber anerkennend zu den Brüsten der Kellnerin hin und wandte sich an Jakob Markowitz. »Ich hab gesagt, ich genieße das hier nicht, Markowitz. Ich hab hier überhaupt kein Vergnügen.«
    Jakob Markowitz erlaubte sich, die Worte seines Freundes anzuzweifeln. In den fünf Tagen seit ihrer Landung hatte Seev Feinberg fünf Kilo zugenommen, mit fünf Frauen geschlafen und fünfzig Liter an Alkoholika konsumiert. Wie auch die anderen jungen Männer vom Schiff fütterte er, in einer Art bulimischem Anfall, seine Sinne mit allen Annehmlichkeiten des Kontinents, ehe er sie wieder ausspeien und nach Palästina zurückkehren musste.
    »Das klingt komisch für dich, was?« Seev Feinberg redete mit Jakob Markowitz, war aber wieder ganz Auge

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