Eine Nacht, Markowitz
Liebe würde wie ein Segen spendender Regen wirken, doch in Wirklichkeit war sie ätzende Säure für das Herz des einsamen Mannes gewesen.
Seev Feinberg huschten andere Gedanken durch den Kopf. Nicht sich selbst beschuldigte er, und gewiss nicht Sonia, sondern die Seekrankheit, die seinen Freund heimgesucht und ihm den Geist verwirrt hatte. Obwohl in allen Fleischesfreuden und Verführungskünsten wohlbewandert, war Seev Feinberg im Grunde ein naiver Mann. Er hatte noch nicht begriffen, dass sein Freund sich nicht aus Krankheitsgründen in seiner Schiffskabine eingeschlossen hatte, sondern aus Kummer, weil er seine Frau und seinen besten Freund im Gespräch gesehen hatte. Selbst wenn Jakob Markowitz ihm gesagt hätte: »Ich habe euch in jener Nacht beobachtet«, wäre Seev Feinberg kein bisschen verlegen gewesen, denn er wusste ja, dass zwischen Bella Seigermann und ihm nichts passiert war, weder in jener Nacht noch in den anderen Nächten. Ja, Seev Feinberg war ein naiver Mann, der nicht ahnte, dass die Dinge, die im Kopf eines Menschen geschehen, unendlich viel wichtiger sind als die Dinge, die sich vor seinen Augen abspielen.
Die Rabbiner traten unbehaglich auf der Stelle. Es gab heute noch mehr Trauungen zu vollziehen und Menschen zu beerdigen, und irgendwo würde sicher ein Junge seine Bar-Mizwa feiern. Wie viel Zeit sollten sie noch mit diesen dreien hier verbringen, die eine so schön, dass sie Gerechte verführen konnte, die Zweite fähig, des Menschen Herz zu erraten, und der Dritte – Gott behüte. Sie gingen zur Tür. Seev Feinberg sah es und rannte ihnen nach. »Der Ehemann ist krank, meine Herren, der Kopf dreht sich ihm. Aber seiner Frau den Scheidebrief geben geht sicher noch, sie wird doch nicht bloß wegen einer Seekrankheit verheiratet bleiben.« Die Rabbiner mussten ihren ganzen Mut aufbringen, um zu erwidern, dass Menschen aus weit geringeren Gründen als einer Seekrankheit verheiratet blieben und dass ein Scheidebrief nicht ohne Zustimmung des Ehemanns erteilt werde. Wenn Seev Feinberg ihnen die Bärte ausreißen wolle – dann bitte schön. Einen Scheidebrief werde es hier jedenfalls nicht geben.
Die Rabbiner verließen den Raum, und Bellas Tränenstrom setzte noch heftiger wieder ein. Kaum zu glauben, wie ein so kleiner Körper so viele Tränen vergießen konnte. Seev Feinberg war nun verheiratet, konnte den Anblick einer weinenden Frau aber immer noch nicht ertragen. Er schenkte ihr Wein ein, strich ihr übers Haar, als wäre sie ein kleines Mädchen, und versicherte ihr erneut, dass Jakob Markowitz, wenn er die Reste seiner Seekrankheit erst mal überwunden hätte, schleunigst die Ehe lösen werde. Und Bella Markowitz hörte und glaubte es, weniger wegen Seev Feinbergs starken Argumenten als wegen ihrer starken Hoffnung.
Am selben Abend machte Michael Katz sich schweren Herzens auf zum Haus des Irgun-Vizechefs. Eine Stunde vorher waren Seev Feinberg und die gewöhnliche Frau, die er geheiratet hatte, bei ihm daheim erschienen, zusammen mit einer schwachen Kreatur, die in allem Bella Seigermann glich, nur dass ihr die Farbe aus dem Gesicht gewichen war, wie mit einem Lappen weggewischt. Mit ernster Miene hatte Seev Feinberg ihm mitgeteilt, dass Jakob Markowitz Tel Aviv verlassen habe, ohne Bella Seigermann, seiner fiktiven, aber leider völlig rechtmäßigen Ehefrau den Scheidebrief zu geben. »Ich nehme an, die Seekrankheit hat ihm den Kopf vernebelt«, sagte Feinberg, »und sicher wird er in ein, zwei Tagen hier aufkreuzen, um die Sache abzuschließen. Trotzdem solltest du es Freuke melden.« Michael Katz sah Seev Feinberg grimmig an. Es reichte nicht, dass er ihm den Befehl über die Operation geklaut hatte, jetzt nannte er auch noch großspurig den Namen des Irgun-Vizechefs, den er, Michael Katz, selbst nicht auszusprechen wagte.
»Warum erzählst du’s ihm nicht selbst, Feinberg. Du hattest Markowitz ja, gewissermaßen als Mitgift, auf unsere Operation mitgebracht.«
»Drei Stunden haben wir am Eingang des Hauptquartiers gestanden und auf seine Rückkehr gewartet. Es wird Zeit, dass wir uns zur Moschawa aufmachen. Geh gleich heute Abend zu ihm, vielleicht ist er bis dahin von dem Einsatz zurück, auf dem er sich sicherlich befindet. Sonia und Bella und ich werden in meinem Haus auf Nachricht von euch warten.« Die letzten Worte hatte Feinberg schon mit dem Rücken zu Katz, auf dem Weg zur Tür gesprochen. Mit der Hand auf der Klinke drehte er sich um. »Und denk dran: Jakob
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