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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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machen, das sei verboten. Für einen Augenblick fühlte er sein Herz immer weicher werden, und er fühlte zwischen den Knien die teigige Wärme nach einem Entschluss: Jetzt bleib ruhig sitzen und geh dann heim, geh in dein Land und in deine Einsamkeit. Er würde zu seinem Haus zurückkehren. Und zu der Frau aus Haifa, die zwar viele Frauen war, aber eigentlich immer eine mit gespreizten Beinen. Roch sie auch jedes Mal anders, so schmeckte die Schmach auf dem Heimweg doch immer gleich bitter. Er würde heimkehren und sein Leben fristen – würde morgens das Feld jäten, mittags die Tauben füttern, abends in Jabotinskys Schriften blättern. Bella Seigermanns Gestalt würde Stück für Stück verblassen: erst die Augenbrauen, dann die Brust, zuletzt die Augen und Ohrläppchen. Er würde sie Tag für Tag mehr vergessen – nicht aber seine persönliche Niederlage, so nahe an einem Leben mit einer Frau wie Bella Seigermann gewesen zu sein, sich jedoch nicht getraut zu haben. Bei diesem Gedanken verhärtete sich Jakob Markowitz’ Herz erneut, pochte wieder so rebellisch, dass es seinen Besitzer erschreckte. »Nein«, verkündete Jakob Markowitz’ Herz. »Nein und nochmals nein.« Und dieser Mann, der bisher ein einziges Stammeln gewesen war, eine lange, eintönige Reihe von Vielleichts, spürte, wie das Nein sein Inneres füllte. Nein, er würde Bella nicht gehen lassen. Er würde mit ihr zusammenleben, und sein Leben würde die Hölle auf Erde werden, aber die sichere Hölle war ihm lieber als der ewige Zweifel.
    Als Seev Feinberg und Sonia mit der Weinflasche die Treppe heraufkamen, fanden sie im Zimmer nur die bleiche Bella Markowitz, umstanden von drei schwarz gekleideten Rabbinern. In ihrer Blässe erschien Bella ihnen wie eine Leiche, deren rituelle Reinigung die Rabbiner überwachten. Unwillkürlich traten Seev Feinberg und Sonia einen Schritt zurück, wie der Gesunde vor einem Kranken, wie ein froher Mensch vor einem traurigen. Es war nur ein kleiner Schritt, und doch bemerkte ihn Bella, denn ihr Leben lang hatten die Menschen ihre Nähe gesucht, und nun suchten sie Abstand. Angesichts dieses kleinen Schritts tat Bella, was sie vorher nicht getan hatte – nicht, als Markowitz sich trotz ihres Flehens umdrehte und nicht, als die Rabbiner sich mit ausgefahrenen Krallen und zudringlichen Fragen auf sie stürzten –, als Bella Seev Feinberg und Sonia zurückschrecken sah, brach sie in Tränen aus.
    Sonia sah Bellas Kummer und schloss sie rasch in die Arme. Schaute ihr in die tränennassen Augen und weinte mit. Denn Sonias Augen waren mit Bellas identisch, fortan würde die eine nicht weinen können, ohne dass es die andere ihr nachtat. Als sie noch umschlungen weinten, ließ Seev Feinberg – die überflüssig gewordene Weinflasche in der einen Hand, den Bart eines Rabbiners in der anderen – mit seiner dröhnenden Stimme die Wände wackeln: »Was zum Teufel geht hier vor?!« Auf diesen Schrei schluchzte Bella noch lauter, und der Rabbiner erstarrte. Nicht alle Tage packt dich ein aufgebrachter Hüne wie Seev Feinberg am Bart, mit zornigen Augen und loderndem Schnauzer. Die beiden anderen Rabbiner begannen, Feinberg anzuschreien, er solle sofort ihren Kollegen loslassen, und ihr Kreischen vereinigte sich mit Bellas Schluchzen zu einem Duett von Zither und Flöte. Dann sprach Sonia mit ruhiger und klarer Stimme, die die beiden anderen Rabbiner verstummen ließ und Seev Feinberg veranlasste, endlich die Bartreste des dritten Rabbiners loszulassen. »Es ist wegen Markowitz, Seevik. Er ist nicht bereit, ihr den Scheidebrief zu geben.« Bella hörte auf zu weinen und sah Sonia an – wie hatte sie es fertiggebracht, ihr Schluchzen zu deuten? Aber nicht von Bella wusste Sonia, was geschehen war, sondern von Markowitz. Anders als Bella hatte Sonia sich die Mühe gemacht, Jakob Markowitz ins Gesicht zu sehen, als er das Zimmer betrat, und obwohl sie schier geplatzt war vor Freude und Erwartung, hatte sie doch seine verhärteten Züge bemerkt. Vielleicht konnte sie gerade, weil sie ganz und gar Ja war, erkennen, wie sich bei ihm das Nein verfestigte. Aber genau in diesem Moment hatte Seev Feinberg sie zur Trauung hereingerufen, und Sonia hatte nicht mehr als Seismograf für die Gefühle anderer dienen können, sondern ganz ihren eigenen Gefühlen nachgegeben. Jetzt machte sie sich Vorwürfe, dass sie Seev Feinberg vor Jakob Markowitz’ Nase so keck ihre Liebe bekundet hatte. Vor Stolz hatte sie gedacht, ihre sichtbare

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