Eine Nacht, Markowitz
Markowitz ist mein Freund. Wenn du übel von ihm reden solltest, werde ich dafür sorgen, dass du gar nicht mehr redest.« Damit ging Seev Feinberg. Ging Sonia. Ging Bella Seigermann.
Als die Tür ins Schloss fiel, barg Michael Katz den Kopf in den Händen. Auch wenn Markowitz praktisch Feinbergs Anhängsel war, so fiel dieses Anhängsel letzten Endes doch in seinen, Michael Katz’, Zuständigkeitsbereich. Seine ersten Schritte als Befehlshaber würden in einer Sackgasse landen, wenn er es nicht mal fertigbrachte, einen Mann wie Markowitz zur Befolgung seiner Befehle anzuhalten. Nur sehr ungern machte er sich also auf den Weg zum Irgun-Vizechef. Zwanzig Meter vor der Haustür stieg Michael Katz Orangenduft in die Nase. Er erfüllte die Straße, waberte zwischen den Pflastersteinen, umwehte die Mülltonnen. Eine britische Finte? Ein Ablenkungsmanöver der Arabischen Legion? Michael Katz ging vorsichtig weiter. Als er diskret an die Tür klopfte, sah er sich um, ob er auch nicht beschattet wurde. Aus den Fenstern der Nachbarhäuser blickten ihn verwunderte Gesichter an, Nasenflügel weiteten sich, um den Orangenduft zu schnuppern. Die ganze Straße hielt nach der Quelle des Duftes Ausschau, und die Blicke fielen geradewegs auf das Haus des Irgun-Vizechefs. Die Tür öffnete sich, und ihn traf der Anblick mit voller Wucht: Hunderte, vielleicht Tausende von Orangen kullerten über den Boden. Große und kleine, orangefarbene und grüne, welche mit einem Blatt am Stiel und welche, die in nichts an den Baum erinnerten, von dem sie stammten. Der Irgun-Vizechef ging ins Wohnzimmer und Michael Katz ihm nach, bemüht, zwischen den kugelrunden Hindernissen das Gleichgewicht zu halten. Vergebens. Gerade als der Irgun-Vizechef ein Stück Sofa von Orangen befreit und sich darauf gesetzt hatte, stolperte Michael Katz über eine der verdammten Früchte und klatschte der Länge nach auf den Boden. Als er verlegen den Kopf hob, blickte der Irgun-Vizechef ihn mit orangerotem Gesicht an und sagte: »Ich nehme an, ich muss mich erklären.«
»Nein!«, rief Michael Katz erschrocken, immer noch bemüht, aus dem Orangenhaufen hochzukommen. »Ganz und gar nicht! Ich verstehe sehr gut, Chef, eine geniale List, den Sprengstoffgeruch durch Orangenduft zu tarnen, ein wahrhaft genialer Gedanke! So werden wir die britischen Hunde endlich überlisten!«
Der Irgun-Vizechef starrte Michael Katz mit verschlossener Miene an. Dann lächelte er bitter. Sogar Efraim Hendels Liebeswahn, ein unübersehbarer Wahn, der seine Wohnung mit Tausenden von Orangen füllte, selbst dieser Wahn wurde Efraim Hendel genommen und in ein Heldenstück des Irgun-Vizechefs umgemünzt. Und kurz dachte er, selbst wenn er sich vor lauter Sehnsucht nach Sonia das Leben nehmen würde, hieße es hinterher sicher, die Briten hätten die Hand im Spiel gehabt.
Michael Katz konnte sich endlich aufrappeln und suchte nun einen Platz zum Sitzen. Der Irgun-Vizechef machte ihm ein Stück Sofa neben sich frei, und Michael Katz’ Herz bebte vor Verehrung und Grauen – Verehrung, weil er neben einer solch hochstehenden Persönlichkeit saß, und Grauen wegen der Dinge, die er gleich würde berichten müssen. Nun erzählte Michael Katz von Seev Feinbergs Besuch und dessen Worten, wobei er trotz Seev Feinbergs Warnung kräftig über Markowitz herzog. Je mehr Schuld er auf Markowitz laden konnte, desto eher bliebe er selbst von einer Verurteilung verschont. Er hatte zwar die Operation geleitet, konnte aber doch wahrlich nicht für ein solches Verhalten verantwortlich gemacht werden. »Und das Schlimmste ist, dass Feinberg sich meines Erachtens irrt. Es ist keine Seekrankheit. Er hat einfach nicht vor, sie gehen zu lassen.«
Der Irgun-Vizechef hörte aufmerksam zu. Michael Katz’ Befürchtungen flauten ab. Die Schreckensszenarien, die er sich im Geist ausgemalt hatte, blieben aus: Der Kommandeur haute nicht mit der Hand auf die Sofalehne, setzte nicht zu lautstarken Rügen an, nahm Michael Katz nicht ins Verhör. Sein Gesichtsausdruck zeigte vor allem belustigtes Interesse, verbunden mit einer Prise Hochachtung.
»Du meinst also, er wird bei seiner Weigerung bleiben.«
»Genau! Überleg mal – ein elender Wurm wie Markowitz, dem wie durch ein Wunder eine reife Frucht wie Bella Seigermann in den Schoß fällt. Ohne jegliche Verantwortung für den nationalen Gedanken, die Größe der Stunde, den Fleck, den er im Auge der Geschichte auf unserer glorreichen Operation hinterlässt.«
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