Eine Nacht, Markowitz
Während Michael Katz noch die Augen der Geschichte bemühte, sann der Irgun-Vizechef über die Menschen nach, die sich nicht um die Geschichte scheren. Die sich nicht in ihre Seiten mogeln, um sich mit der Tinte der Heldentaten in ihre Annalen einzuschreiben, sondern um verstohlen eine Seite einzureißen. Der Irgun-Vizechef, dessen sämtliche Handlungen von der Ewigkeit vereinnahmt und zu dem einen heiligen Ziel der Erlösung des Landes vereint wurden, konnte nicht umhin, Jakob Markowitz ein wenig zu beneiden. Der war zwar ein Wurm, aber Würmer sind ja von Natur aus befreit vom Angelhaken der Weltgeschichte.
Schließlich merkte Michael Katz, dass sein Vorgesetzter ihm nicht zuhörte. Der Irgun-Vizechef starrte mit sehnlichen Blicken auf die Orangen im Zimmer, und einen Augenblick huschte Michael Katz der Gedanke durch den Kopf, Irrsinn und nicht List habe Hunderte von Orangen hierher gebracht. Doch sofort ließ Michael Katz seine ketzerischen Gedanken wieder fallen, verabschiedete sich von seinem Vorgesetzten und wandte sich zum Gehen.
»Gib ihm eine Woche«, sagte der Irgun-Vizechef. »Wenn er ihr innerhalb einer Woche keinen Scheidebrief gibt, komme ich in die Moschawa.«
8
S ie fanden ihn auf dem Hof beim Füttern der Tauben. Wie hatte er sich von Herzen gefreut, als er die Vögel sah, die auf ihn gewartet hatten und nicht zu anderen Dörfern und anderen Brotkrümeln geflogen waren. Nun streute er ihnen eine Handvoll nach der anderen hin, denn sie allein hatten ihn bei seiner Heimkehr erwartet. Jabotinskys Schriften lagen auf dem Tisch, aber er mochte nicht mehr darin lesen. Was sollte er mit hochtrabenden Sätzen und großen Worten. Die Großtat seines Lebens hatte er bereits vollbracht. Jetzt blieben nur noch die Brotkrümel und die Tauben. Es gab auch Besucher. Erst Seev Feinberg allein. Dann Sonia. Und danach der Irgun-Vizechef, der ihn mit der Zunge tadelte und mit den Augen beneidete. Sie redeten und baten und schrien und stampften mit den Füßen. Sie rügten und schimpften und drohten mit himmlischen und weltlichen Strafen. Jakob Markowitz bewirtete sie nach ihrer Ankunft mit Tee und Mandeln, schloss nach ihrem Weggang die Gartenpforte hinter ihnen und klammerte sich an sein Nein wie ein Ertrinkender an ein Brett.
Danach kamen andere, mit echten Brettern in den Händen. Michael Katz war auf die Idee gekommen, und der Irgun-Vizechef hatte nicht widersprochen. Bei aller Sympathie für Markowitz – eine solche Schande durfte nicht lange andauern. Michael Katz suchte die brutalsten Kerle zusammen, Jungs mit einem explosiven Temperament, das sich sowieso hin und wieder entlud. Also besser, wenn wenigstens jemand den Strom in die richtigen Bahnen lenkte. Eine Woche vorher hatten sie einem arabischen Kutscher beide Beine gebrochen, weil er ihnen, als er im Hafen Ware ablud, den Weg verstellt hatte. Dabei hatten sie sich für eine Weile abreagiert, aber jetzt erkannte Katz in ihren Augen wieder den Tatendrang, der sie um den Verstand brachte. Diesmal überließ er ihnen Markowitz. Sie klopften gegen acht Uhr abends an seine Tür, und Jakob Markowitz öffnete mit ahnungsvoller Miene. Die ganze Affäre dauerte knapp fünf Minuten und hinterließ Jakob Markowitz mit zwei Zähnen weniger, einer gebrochenen Rippe, einem blauen Auge und dem Versprechen, wiederzukommen, falls der Scheidebrief ausbleiben sollte. Doch während die Burschen ihn kräftig verdroschen, erinnerte er sich an den Grund für die Prügel, an Bellas Gestalt, und so steckte er die Schläge mit dankbarem Lächeln ein.
Eine Weile blieb Jakob Markowitz auf dem Rücken liegen, dort, wo die Burschen ihn zurückgelassen hatten. Durch sein geschwollenes Auge sahen die Sterne besonders groß aus. Ein normaler Mensch, der sich zur Nachtzeit draußen befindet, ist zwar überwältigt von den Sternen, aber immer scheucht ihn etwas zurück in seine vier Wände. Ein Kind, das gefüttert werden will, ein Strumpf, den es zu stopfen gilt, irgendwas Irdisches, das keinen Aufschub duldet. Aber in dieser Nacht wusste Jakob Markowitz, dass er alles aufschieben würde. Er würde auf dem Rücken liegen und mit seinem heilen Auge die kleinen und mit dem geschwollenen die großen Sterne beobachten. Es beruhigte ihn zutiefst, dass die Welt zwar kopfstehen mochte, der Große Wagen aber trotzdem genau zur rechten Zeit und an seinem festen Ort aufging. Schließlich schlief Jakob Markowitz unter Schmerzen ein. Als er mit steifen Gliedern und schwindelndem Kopf aufwachte,
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