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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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merkte er, dass ihm im Schlaf Blutfäden vom Mund aufs Kinn geflossen waren. In seiner ersten Benommenheit hielt er sie für Speichel, wie der, der ihm als Kind aus dem Mund gelaufen war, wenn er abends auf dem Schoß seiner Mutter einschlief. Aber sobald er das volle Bewusstsein wiedererlangt hatte, begriff er, dass er nicht auf dem Schoß seiner Mutter lag, sondern auf der harten Erde, und der Blutgeschmack im Mund war schal und ekelhaft. Jakob Markowitz fixierte grimmig den Großen Wagen. Dem war es egal, ob er ein schlafendes Kind auf dem Mutterschoß beschien oder einen Mann, der im Schlaf Blut verlor. Er wollte nicht mehr in die Sterne gucken.
    Um ein Uhr nachts klopfte Jakob Markowitz an Seev Feinbergs Haustür. Sagte, er bitte um Desinfektionsmittel und Verbandszeug. In Wirklichkeit wollte er darum bitten, ihm seine Schmach zu desinfizieren und seine Demütigung zu verarzten. Seev Feinberg erfüllte ihm die erste Bitte und versagte ihm die zweite. Er fragte nicht: »Wer hat das getan?«, rief nicht: »Wir stellen denen nach«, lästerte nicht einmal über die Hündin, die diese Kerle geworfen habe, nachdem sie mit einem Schwein fremdgegangen sei. Seev Feinberg verband Jakob Markowitz geschickt seine Wunden, reinigte das Auge von Flüssigkeiten, die sich darin gesammelt hatten, und zog einen dritten Zahn, der gefährlich wackelte. Und als er fertig war, machte er die Haustür auf und hieß ihn gehen.
    Die Kerle hielten Wort. Alle paar Nächte klopfte Jakob Markowitz an Seev Feinbergs Tür. Mal kam er mit gebrochenem Nasenbein, mal humpelte er mit einem schwer lädierten Bein herein, mal blieb er an der Türschwelle stehen, da er fürchtete, beim nächsten Schritt zusammenzuklappen. Jedes Mal verarztete Feinberg ihn stumm und gewissenhaft und schickte ihn danach wortlos weg. Manchmal wartete Jakob Markowitz geradezu auf den Besuch der Kerle, weil er nur noch blutend das Haus seines Freundes betreten durfte. Sonia und Bella ahnten nichts von diesen nächtlichen Besuchen. Wenn Jakob Markowitz an die Haustür klopfte, schliefen sie beide, jede in ihre eigenen Träume versunken (obwohl die Träume der einen zuweilen in den Schlaf der anderen einsickerten, wie es bei Seelen, die unter einem Dach wohnen, gelegentlich vorkommt). Aber eines Tages wollte Sonia eine Schnittwunde desinfizieren, die sie sich beim Kochen zugezogen hatte, und fand die Jodflasche fast leer vor.
    »Kommt er oft her?«
    »Jede dritte Nacht.«
    Sonia kehrte ihm den Rücken. Seev Feinberg konnte sie gut verstehen. Die Tränen, die Bella an Sonias Brust weinte, hätten zur Bewässerung von drei Orangenhainen ausgereicht, wie sollte sie dann noch Erbarmen für den Mann aufbringen, der der Grund für diese Tränen war. Seev Feinberg betrachtete den aufrechten Rücken seiner Frau, die Hand, die die Jodflasche auf den Tisch stellte. Er stand vom Stuhl auf und trat zu ihr, stieß aber an die Tischkante, sodass die Jodflasche umkippte. Jodtropfen sickerten auf die Tischdecke und breiteten sich rasch aus, ein lila Kreis wuchs und wuchs, durchtränkte immer mehr Baumwollfasern, bis er sich von einem Kreis in einen monströsen Schmetterling verwandelte. Seev Feinberg starrte wie hypnotisiert darauf. Plötzlich bemerkte er, wie die Schultern seiner Frau erzitterten.
    »Bitte, meine Liebe, sei nicht böse.« Aber als er sie an der Schulter berührte, begriff er, dass sie nicht zürnte, sondern weinte.
    »Dieser armselige Mann. Dieser arme, armselige Mann.«
    Michael Katz’ Kerle ermüdeten langsam. Ein halber Tag hin in die Moschawa, ein halber Tag zurück, und dazwischen vielleicht fünf Minuten Spaß am Handwerk. Außerdem war dieser Markowitz ein recht zweifelhaftes Ziel. Wehrte sich nicht, versuchte nicht, zurückzuschlagen, sie hatten das Gefühl, auf eine Lumpenpuppe einzudreschen, nicht auf einen Menschen (keine Puppe, versuchte Michael Katz ihnen zu erklären, sondern ein Schilfrohr. Ein Schilfrohr, das sich im Wind biegt und deshalb niemals zerbricht, in seiner Armseligkeit unbesiegbar ist). Jakob Markowitz betrachtete sich selbst nicht als Schilfrohr, auch nicht als Lumpenpuppe. Derlei Vergleiche haften nicht im Kopf eines zu Boden Geschlagenen. Ein einziges Bild bewahrte Jakob Markowitz im Geist, während die Kerle ihn verprügelten, Bellas Bild. Jeder Faustschlag weckte, neben dem Schmerz, auch eine Erinnerung an seinen Grund. Jakob Markowitz brauchte sich nur an Bellas Gesicht zu erinnern, und schon linderte ihr Bild die

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