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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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drückten einander schnell die Hände, stritten sich schnell und versöhnten sich schnell. Sogar die Hintern der Kinder wurden schnell versohlt, um ihnen schnell noch Anstand einzubläuen, ehe der Krieg kam und sie ganz andere Dinge lehrte. In diesem wimmelnden Ameisenhaufen fiel Rachel Mandelbaum durch ihren langsamen, zögernden Gang auf. Sie ging gemessenen Schritts die Straße entlang, achtete kaum auf das Summen der Männer und Frauen. Wurde sie versehentlich angerempelt, sagte sie »Verzeihung« und schritt davon, und die anderen hoben die Augenbrauen und gingen ihres Weges. Aber als sie Jakob Markowitz begegnete, blieb Rachel Mandelbaum stehen und förderte ein echtes Lächeln zutage. »Markowitz. Wenn du es auch eilig hast, dann stimmt es wohl, der Krieg steht vor der Tür.«
    Jakob Markowitz musterte das zerbrechliche Wesen vor sich. Seit der Niederkunft unter dem Johannisbrotbaum verließ Rachel Mandelbaum nur noch selten das Haus. Ihre Haut war immer blasser geworden und jetzt so durchsichtig, dass man die Tränen sah, die sich in den Tränensäcken sammelten. Er schaute ihr in die eingesunkenen, braunen Augen und dachte, dass sie und nicht das Messer des Schächters der Grund für die Trauer der Tiere in der Fleischerei seien.
    »Es stimmt«, erwiderte er. »Der Krieg wird ausbrechen. Vielleicht ist er schon ausgebrochen. So oder so, er ist unvermeidbar.« Rachels Lächeln erstarb schlagartig, und Jakob Markowitz fragte sich, ob es richtig gewesen war, es auszusprechen. Nicht wegen des Wahrheitsgehalts seiner Worte, daran hatte er keinen Zweifel, sondern wegen der Standfestigkeit der lauschenden Seele. Bei dem Wort »unvermeidlich« erbleichte Rachel Mandelbaums Haut noch mehr, jetzt sah man die Gedanken auf dem Blut in den Adern schwimmen. Sie war ja bis hierher gereist, um einem anderen Krieg zu entfliehen, wieso drohte ihr hier nun ein neuer? Hinweg über das Summen der Menschen im Dorf, über die Felder, die Weinberge und das Mittelmeer, erreichte sie das Krachen des berstenden Schädels, das sie veranlasst hatte, Europa den Rücken zu kehren. Wieder blickte sie in das Gesicht des alten Juden, der an einer Wiener Straßenecke hustend und flehend von einem jungen Burschen zum anderen gestoßen wurde. Jetzt erkannte sie in den Augen des Alten voll Entsetzen die Trauer der Kühe, die Abraham Mandelbaum ansahen, wenn er sein Messer wetzte. Es war ja der gleiche Blick, genau der gleiche, wenn das Wissen um das eigene Ende sich auftut wie eine schwarze Blume, die mit ihren samtenen Blättern jeden Rest Vernunft zudeckt. Rachel Mandelbaum starrte unverwandt auf die schwarze Blume, und Jakob Markowitz musste sich räuspern, um ihre Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Aber auch, als sie ihn nun anblickte, sah sie nichts als den dümmlich tierischen Ausdruck der Ziegen und Schafe, der Gänse und Lämmer, der nun auch der Ausdruck der Dorfbewohner geworden war. Sie wittern ihren Tod, dachte Rachel Mandelbaum, all diese Menschen, die jetzt hastig Lebensmittel einkaufen und Strümpfe stopfen und aufmüpfige Kinder ohrfeigen, all diese Menschen unterscheiden sich nicht von den Tieren am Eingang der Fleischerei. Bei diesem Gedanken ging Rachel Mandelbaum schnell weg, ja verfiel in Laufschritt und ließ Jakob Markowitz verwirrt stehen.
    Aber nicht lange. Kaum war Rachel Mandelbaum verschwunden, kam auch schon Seev Feinberg schnellen Schritts und mit wallendem Schnauzer angelaufen. Jakob Markowitz sah seinen Freund und eilte ihm entgegen, in dem stillen Gedanken, dass einer wie Seev Feinberg sicher wüsste, was zu tun war, wenn Kriegslaute das Ohr erfüllten. Er irrte. Seev Feinbergs Ohren waren voll mit Babygebrabbel, kein anderer Ton drang zu ihnen durch. Zwar verliehen ihm seine schnellen Schritte und sein wallender Schnauzer das imposante Aussehen eines Feldherrn, aber in Wirklichkeit wallte sein Schnauzer im Takt eines Kinderlieds, das er vor sich hin summte, und raschen Schritts ging er nur in Erwartung seines Sohnes am Ende der Straße. »Markowitz! Wie schön, dich zu sehen. Hör mal, das Kind kann schon beinah laufen. Ungewöhnlich für sein Alter, ganz ungewöhnlich.« Und so sang Seev Feinberg weiter das Lob des Kindes, und Jakob Markowitz nickte, bis er einen leichten Schmerz im Hals verspürte. Schließlich wagte er, Feinbergs bewundernde Worte (»Und sein Stuhl, der riecht fast gar nicht! Sehr ungewöhnlich!«) zu unterbrechen und ihn zu fragen, ob er was von Krieg gehört habe.
    Auf diese Frage hielt Seev

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