Eine Nacht, Markowitz
Haus. Kurz darauf kam Sonia, schwer schnaufend vom Rennen. Dahinter trabte ein Trupp Kinder herein, die die beiden auf Anweisung des Irgun-Vizechefs herbeigeholt hatten. Sie wurden schnell wieder aus dem Haus gejagt und kehrten auf ihre Posten am Zaun zurück, warteten auf den nächsten Auftrag des Irgun-Vizechefs.
Der Irgun-Vizechef wappnete sich für den Stich, den Sonias und Feinbergs Liebe ihm versetzen würde. Bei früheren Begegnungen hatte Sonias Gesicht gestrahlt und Feinbergs Lächeln bis an die Augenpartie gereicht. Aber jetzt glich Sonia einer ausgeblasenen Kerze und Feinbergs Gesichtszüge wirkten traurig und hart. Der Irgun-Vizechef beobachtete die beiden, als sie sich neben Bella knieten, er zur Rechten, sie zur Linken. Er blickte Sonia an, als sie hinausging, um Wasser zu erhitzen, und verfolgte Seev Feinbergs Augen, als sie wiederkam. Hinter den geschickten Bewegungen der beiden, ihren beruhigenden Worten und Bellas Stöhnen entstand ein überraschendes, ja geradezu revolutionäres Nachrichtenbild. Seev Feinberg sah seine Frau kein einziges Mal an, und Sonias kehlig tiefe und warme Stimme klang so schwach wie die eines Verirrten, der vergebens um Hilfe ruft.
»Tief durchatmen, Bella, gleich kommt der Arzt.«
»Kommt nicht, kommt nicht«, rief ein Kind von der Tür her. »Seine Frau hat gesagt, er ist zu einem Fiebernden im Dorf.«
Der Irgun-Vizechef und Seev Feinberg sahen sich über Bellas Bauch an. »Ich nehm sie im Wagen mit«, erklärte der Irgun-Vizechef. »Ihr bleibt hier für den Fall, dass Markowitz zurückkommt.«
»Also ehrlich, Freuke, bei deinem Fahrstil? Da kommt das Kind ja vor lauter Springen und Schleudern schon unterwegs zur Welt! Ich bring sie hin.« Der Irgun-Vizechef wollte protestieren, sah aber, wie ehrfürchtig Feinberg Bella den Schweiß von der Stirn wischte und wie er mit der rechten Hand seinen Schnauzer zwirbelte, eine Geste, die nur besonders ernsten Momenten vorbehalten war.
»Warum fahren wir dann nicht alle?«, fragte der Irgun-Vizechef.
»Nein.« Die Stimme klang so schwach, dass der Irgun-Vizechef im ersten Moment dachte, nicht Sonia, sondern Bella sei die Sprecherin. »Seevik fährt mit Bella los. Wir bleiben hier.« Falls Seev Feinberg sich über die Entscheidung seiner Frau wunderte, ließ er es sich nicht anmerken. Er wischte Bella nur weiter den Schweiß von der Stirn und schaute hin und wieder verstohlen auf ihren Bauch. Der Irgun-Vizechef richtete einen langen Blick auf Sonia, zog dann die Schlüssel aus der Tasche und sagte: »Vorwärts.«
Fünf Minuten später waren der Irgun-Vizechef und Sonia schon allein. Sie schüttete die Schüssel heißes Wasser im Hof aus, er suchte etwas mit seinen Händen anzufangen. Als sie sich neben ihn aufs Sofa setzte, atmete er nur noch durch den Mund, weil er nicht wusste, wie er auf ihren Duft in der Nase reagieren würde. »Schau dir das an, Efraim, jetzt ist alles so ruhig hier, und morgen, spätestens übermorgen, wird alles vom Lachen und Weinen eines Babys widerhallen.« Sonia erwartete keine Antwort, und es kam auch keine, denn der Irgun-Vizechef hörte seinen Namen aus ihrem Mund und dann gar nichts mehr. Als sie ihn küssten wollte, wandte er das Gesicht ab.
»Warte. Erst nehm ich ihn dir ab.«
»Wen?«
»Den Kummer.« Nun küsste er ihr Gesicht vom Kinn bis zum Haaransatz, bedeckte ihre Haut mit Hunderten kleiner Küsse. Die Mulde über den Lippen, die Wangen, Nasenflügel, Augen. Bei jedem Kuss atmete der Irgun-Vizechef die Luft über der Haut, die von Zweifel verschmutzt war, und als er spürte, dass die Küsse der trockenen Lehmmaske auf ihrem Gesicht nicht Herr wurden, fing er an, ihr mit langen, feuchten Zungenbewegungen das Gesicht abzulecken, Wangen, Augen, Nase und Ohren. Erst, als sie mit kehliger Stimme loslachte, erst, als sie sich wieder wie eine schnurrende Löwin anhörte, erst, als sie ihm mit aller Kraft eine Ohrfeige versetzte und rief: »Genug! Du Missetäter«, erst da hörte er auf, ihr das Gesicht abzulecken, fasste mit zitternden Händen ihren Kopf und küsste sie.
Jakob Markowitz’ knarrendes Sofa brach schier zusammen unter dem Gewicht der beiden. Der Irgun-Vizechef war ein großer Mann, und auch Sonia gehörte nicht zu den Mageren. Das Sofa war zwar an Markowitz’ nächtliches Herumwälzen und an sein steifes Glied gewöhnt, aber das Paar, das sich jetzt darauf vergnügte, wog das Doppelte von ihm – das Gewicht der Erwartung noch gar nicht mitgerechnet: über dreißig Monate,
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