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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Möglichkeiten durch den Kopf gehen, bis der Postbote kam und an die Tür klopfte. Beim Anblick seines alten Gesichts schämte sie sich ihres Irrtums, aber an einem anderen Tag irrte sie sich wieder und hielt Jeschajahu Ron, der mit geschulterter Hacke übers Feld ging, für Jakob Markowitz mit Gewehr. Diesmal ging sie nicht ins Haus, sondern blieb aufrecht und angespannt an der steinernen Einfriedung stehen und bemühte sich, ihren Augen wieder den Ausdruck kalter Verachtung zu verleihen, den sie so lange nicht aufgesetzt hatte. Manchmal fragte sie sich, ob das ewige Feuer des Hasses wirklich verglühen könnte. Wie die Zeit eine große Liebe auszulöschen vermag, so würde sie vielleicht auch vom Hass nichts als glühende Asche übrig lassen. Die allein verbrachte Zeit hatte jedoch nicht nur die Erinnerung an die Sünde, die Jakob Markowitz an ihr begangen hatte, ferner gerückt, sondern sie auch ihre Freiheit kosten lassen. Und die schmeckte so süß, so köstlich, dass der Gedanke an Markowitz’ Rückkehr unerträglich wurde.
    Jakob Markowitz hatte seine Leidenschaft nicht aufgegeben, seine Frau in der Moschawa nicht vergessen. Aber eine andere, dringlichere Pflicht ging vor. Er hatte sich gelobt, gleich nach Ende des Krieges die Häuser seiner Kameraden aufzusuchen. Die Familien des Lahmen, des Trinkers und des Spielers. Während er noch auf Wanderschaft war, wurde Bella immer nervöser. Kam er zurück oder nicht? Und wie so häufig bei angegriffenen Nerven, wenn der Mensch sich in ewigem Drehschwindel in sein Schneckenhaus verkriecht, war es gerade die Not eines anderen, die Bellas Martern beendete. Als Bella Markowitz hörte, dass Abraham Mandelbaum die Rosen niedergemacht und seinen Sohn vergessen hatte, hastete sie zum Haus des Schächters. Allein ging sie den Weg dorthin. Die Nachbarn, die bis zu jenem Morgen massenhaft gekommen waren, blieben jetzt daheim und spähten tadelnd zum Haus des Meschuggenen hinüber. Nachdem Rachel Mandelbaum sich in der Fleischerei erhängt hatte, hatten sie ihren Mann mit Alltagsgesprächen gepäppelt, mit Höflichkeitsbesuchen getröstet. Doch nun verlor er auch noch den Verstand, und mit welch sträflicher Fahrlässigkeit er das tat: Man konnte ihm ja eigentlich keine Vorwürfe machen, aber wie sollte man denn jemanden nicht beschuldigen, der sich so willig dem Wahnsinn hingab, ihn mit weit ausgebreiteten Armen empfing und sich – ja, ja, sich selbst – ins Unglück stürzte. Zieht sich einer eine Grippe zu, befällt die Krankheit den Körper, und er selbst ist nicht schuld. Nur einer, der geisteskrank wird – da betreten wir den geheimnisvollen Bereich von Wahlfreiheit und Schuld, denn Schicksalsschläge erleben wir alle, aber nicht alle von uns reißen Rosenstöcke mit bloßen Händen aus und ignorieren unsere weinenden Kinder, als wären sie verlassene Straßenkatzen, was denn, sogar eine Straßenkatze würden wir besser behandeln. Zugegeben, Rachel Mandelbaum hat einen tragischen, plötzlichen Tod gefunden. Aber wir alle haben doch das eine oder andere Unglück erlebt, und selbst ein kleines Unglück ist ja riesengroß für den Betroffenen, wie damals, als der Welpe des kleinen Ascher Schachar starb und sein Wehgeschrei das ganze Dorf erschütterte, auch solche Schicksalsschläge zählen bei uns, solange die Proportionen gewahrt bleiben.
    Als die Dorfbewohner Abraham Mandelbaum erst mal die Schuld für sein Unglück in die Schuhe geschoben hatten, empfanden sie kein bisschen Mitgefühl mehr mit ihm. Sie grenzten ihn aus, wie man früher – in anderen Dörfern, zu anderen Zeiten – einen Aussätzigen oder einen Pestkranken ausgegrenzt hätte. Rachel Mandelbaums Wahnsinn war ein toter Wahnsinn. Abraham Mandelbaums Wahnsinn allerdings war höchst virulent. Und vielleicht ansteckend. Vor ansteckenden Dingen hatten die Dorfbewohner eine Mordsangst. Die ansteckenden Dinge raubten ihnen die Empathie und ließen sie abrücken. Fälschlich sagten sie sich im Herzen, eine Geisteskrankheit sei für sie etwas anderes als eine körperliche Erkrankung. Begegeten sie einem körperlich Schwerkranken, versuchten sie ihm genauso die Schuld aufzuhalsen: »Hat sicher gesoffen«, oder »einen unsittlichen Lebenswandel geführt«, »es heißt, dass er sich nur selten die Hände gewaschen hat«, »dass sein Haus verdreckt ist.« So suchten und stöberten sie (vielleicht ist er zu spät aufgestanden, vielleicht zu früh?), bis sie etwas fanden. Und dann trat ein triumphierendes Lächeln

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