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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Schlafen und Wachen, als er plötzlich Jotams Stimme hörte. Ein weinendes Kind. Ein weinendes Kind im Hof. Sofort stand er auf und ging ins Wohnzimmer, wo er Sonia zur Tür eilen sah. Ein weinendes Kind. Ein weinendes Kind im Hof, und sie liefen ihm entgegen, sei es, um das Kind zu retten, sei es, um von ihm gerettet zu werden – das ließ sich nicht sagen.
    Sie waren zu viert. Michael Nudelmann hielt das tobende Kind mit ausgestreckten Armen, wie man einen gefangenen Fuchs abtransportiert. Chaja Nudelmann stellte sich hinter ihren Mann, fühlte sich sehr im Recht und voll der Güte. Jeschajahu Ron stand hinter Chaja und tat so, als sähe er das weinende Kind an, musterte tatsächlich aber ihren Hintern. Seine Frau, Lea Ron, drängte sich zwischen ihn und die Eingangstür und gab vor, sein Treiben nicht zu bemerken. Als Sonia und Seev Feinberg die Haustür aufmachten, drängten alle vier hinein und redeten gleichzeitig. »Verrückt geworden!« »Ohne Zweifel!« »Die ganzen Rosen hat er ausgerissen!« »Noch dazu mit bloßen Händen!« »Das arme Kind, ohne Mutter aufzuwachsen.« »Und mit einem verrückten Vater.« »Und der Kleine selbst hat auch was abbekommen.« »Eindeutig, er weint und weint und hört gar nicht mehr auf!« »Hat den ganzen Weg zu euch nicht wieder aufgehört.« »Und getreten hat er auch und gekratzt, ein richtiges Biest.« »Wirklich ein Glück, dass unser Michael so stark ist.« »Und seine Frau so gütig.« »Danke, Jeschajahu, das tut wirklich gut.«
    Beim Reden musterten sie das Innere des Hauses, denn der Mund redet ja nur, um die prüfenden Augen zu tarnen. Seev Feinberg und Sonia wurden viele gute Eigenschaften nachgesagt, aber Sauberkeit war nie eine davon gewesen. Und doch hatte das Wohnzimmer jetzt nichts von dem kunterbunten Durcheinander, das früher im Haus geherrscht hatte. Damals türmten sich auf dem Wohnzimmerboden allerlei Dinge, die zwar beliebig zusammengewürfelt aussahen, in ihrer Kombination aber doch ein ansprechendes Mosaik ergaben. Eine Lumpenpuppe, eine frisch geflickte Hose, drei Bleistifte – Sonia hatte die seltsame Begabung, all das zu einem neuen, höheren Ganzen zusammenzufügen. Sie pflückte nie Blumen, um sie auf den Tisch zu stellen – vom Feld brachte sie immer etwas Ausgefallenes mit. Einen Schildkrötenpanzer, der als Aschenbecher diente, ein trockenes Blatt, dessen Adern die Umrisse einer nackten Frau erkennen ließen, ein Hufeisen, das, umgekehrt gehalten, wie ein lächelnder Mund aussah. Die Frauen des Dorfes rümpften die Nase über so viel Dreck und Unordnung, aber wenn sie dann in ihre blitzblanken, einheitlichen Häuser zurückkehrten, mussten sie doch wieder an die Knoblauchzehen denken, die Sonia über den lächelnden Hufeisenmund gehängt hatte, an dieses Fratzen-Amulett, das das Unheil verlachte. Jetzt, da sie das weinende Kind als Vorwand benutzten, um das Innere des Hauses zu inspizieren, fanden sie dort nichts mehr von dieser erfrischenden Unordnung. Das Durcheinander war noch da, aber jetzt glich es eher einem Trümmerhaufen als einem Spielplatz. Die Luft schien bei ihrem Eintreten stickiger geworden zu sein, und die Worte lasteten so schwer im Mund, dass sie nach und nach versiegten. Sogar Jeschajahu Ron spürte es und wandte den Blick kurz von Chaja Nudelmanns Hintern ab, um zu begreifen, was hier eigentlich los war.
    Trotz seiner flinken Hände, auf dem Feld wie bei der Liebe, war Jeschajahu Rons Gehirn ziemlich trübe. Das soll nicht heißen, dass er dumm gewesen wäre, er konnte durchaus rechnen, ohne die Finger zu Hilfe zu nehmen, und flammende Reden halten, die durchschnittlichen Erfolg erzielten oder auch mehr als das. Er hatte mühelos den Augenblick erkannt, in dem er seine Frau nicht mehr liebte, auch wenn die Liebe noch eine Weile herumgerannt war wie ein geköpftes Huhn. Aber wo es um die Geologie der Seele ging, um die dem Auge verborgenen Schichten, da fühlte sich Jeschajahu Ron so verloren wie ein Kind. Als er jetzt den Blick von Chaja Nudelmanns spektakulärem Hintern abwandte, konnte er nicht sagen, was ihn im Innern des Hauses so verstörte. Er trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen wie ein Reittier, das die bevorstehende Tour ahnt, ohne es zu verstehen. Hier sah es doch so aus wie immer, warum nahm er dann nicht wieder den vibrierenden Hintern ins Visier? Was fesselte seine Augen in diesem Zimmer, und warum hätte er – wenn all die anderen nicht gewesen wären – einfach losheulen mögen?
    Jeschajahu

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